In einer der bedeutendsten Texte zur Fotografie – Roland Barthes’ Essay „Die helle Kammer“ von 1980 – unterscheidet der französische Philosoph zwischen den Konzepten des Studiums und des Punctums. Ersteres bezeichnet den objektiven Zugang, der es dem Betrachter ermöglicht, allgemeine Zusammenhänge und Hintergründe zu erkennen, eine Mimik zu deuten oder einen Handlungsablauf zu erahnen. Punctum hingegen bezeichnet den Teil einer Fotografie, der eine ganz subjektive Ergriffenheit beim Betrachter auslöst. Nicht nur der erste Film der Reihe „Filmblicke auf die Fotografie: Fotografie im Spielfilm von den 1960ern bis heute“, die vom 13. März bis zum 10. Juli im Filmforum zu sehen ist, lotet das Spektrum zwischen diesen beiden Begriffen aus: Michelangelo Antonioni begleitete 1966 in seinem im „Swinging London“ angesiedelten Klassiker „Blow Up“ einen arroganten Modefotografen, der daran verzweifelt, in einem seiner Fotos etwas zu sehen, was kein anderer sieht und was auch in der Realität nicht da ist: eine Leiche. Antonionis elegant erzählte Kritik an der Beweiskraft der Fotografie leitet die Reihe mit einer Einführung zur „Krise des Sehens“ ein (13.3.).
An acht Abenden werden jeweils um 19 Uhr Filme zum Thema gezeigt. Als Vorfilm gibt es jeweils eine Einführung und thematisch passende WDR-Dokumentationen von der Photokina aus den Jahren 1966 bis 2012. Peter Watkins’ „Privilege“ von 1967 zeigt anhand eines Starkults, wie Fotografie und Film Wirklichkeit erst entstehen lassen. Die Zukunftsvision um einen Popsänger ist als Mockumentary inszeniert und bezieht damit eine weitere Ebene zum Thema Wirklichkeitskonstruktion mit ein. Der Kölner Filmkritiker Daniel Kothenschulte gibt eine Einführung zu dem selten gezeigten Film (17.4.). Die Handlung von „Privilege“ ist in der nahen Zukunft angesiedelt. Am 8.5. läuft Helke Sanders „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“ von 1977. Eine Gruppe von Fotografinnen soll Berlin dokumentieren. Als das Ergebnis aber gar nicht typische „Frauenthemen“ zeigt, ist der Auftraggeber verärgert. Helke Sander wird an dem Abend über ihren Film sprechen. Am 28. Mai ist „Blood Simple“ von den Coen-Brüdern zu sehen. In ihrem Debüt von 1984 zieht ein gefälschtes Foto fatale Konsequenzen nach sich. Das Beweisfoto spiegelt also nicht eine vergangene Wirklichkeit, sondern begründet erst die zukünftige Wirklichkeit. „High Art“ (1998) von Lisa Cholodenko („The Kids are All Right”) erzählt von einer Fotografin und ihrer Freundin, die sie für ihre Arbeit instrumentalisiert. Cholodenko thematisiert in ihrem eleganten Erotikfilm den weiblichen Blick und die Frau als Objekt ebenso wie die Kunstszene. In Christopher Nolans rückwärts erzähltem „Memento“ aus dem Jahr 2000 dient die beinahe schon archaisch anmutende Polaroidkamera dem Protagonisten als Gedächtnisprothese. Tatsächlich überlagern die Fotografien aber zunehmend die Reste seiner Erinnerung (27.6.). Zur Abschlussveranstaltung am 10. Juli wird Angela Schanelecs Film „Marseille“ von 2004 gezeigt. Die Protagonistin – eine Fotografin – nähert sich der fremden Stadt über die analoge Fotografie – ohne Geschwindigkeit und Überfluss des Digitalen. Die Regisseurin ist anwesend.
Am 25. Mai wird um 15 Uhr das Ergebnis des Workshops „Wir machen Film“ für Jugendliche zum Thema Fotografie und Film gezeigt. Parallel zur Filmreihe zeigt die fotografische Sammlung des Museum Ludwigs vom 28.6. bis 5.10. seine Bestände in den beiden Ausstellungen „Das Museum der Fotografie. Eine Revision“ und „Unbeugsam und ungebändigt: Dokumentarische Fotografie um 1979“.
„Filmblicke auf die Fotografie“
13.3. - 10.7., Filmforum im Museum Ludwig
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Doppelter Einsatz für „Afrika“
Spendenaufruf des Afrika Film Festivals – Festival 05/24
Wenn Kino Schule macht
Die Reihe Filmgeschichte(n) spürt Schulgeschichten auf – Festival 05/24
Prominente Drehorte
Der Verein Köln im Film zeigt in Köln gedrehte Spielfilme – Festival 05/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
Filmgeschichten, die das Leben schreibt
Neue Dokumentarfilme aus einer verrückten Welt – Festival 01/24
Kino galore
European Arthouse Cinema Day 2023 – Festival 11/23
„Dialog ist der Schlüssel zur Veränderung“
3 Fragen an Kyra Scheurer vom Festival Edimotion – Festival 10/23
Der Atem des Films
Das Festival „Edimotion“ holt die Monteure des Films ins Rampenlicht – Festival 10/23
Film- und Troublemaking
„Clashing Differences“ gewinnt choices-Publikumspreis des 20. Afrika Film Festivals – Festival 10/23
„Festivals sind extrem wichtig, um Vorurteile abzubauen“
4 Fragen an Sebastian Fischer, Leiter des Afrika Film Festivals Köln – Festival 09/23
Preiswürdiges Paar
„Tori et Lokita“ gewinnt choices-Publikumspreis der Französischen Filmtage – Festival 09/23
Alte und neue Filmschätze
Das Afrika Film Festival zeigt Filmkunst als Raum für Aktivismus – Festival 09/23
Das Leben und nichts anderes
Französische Filmtage in Bonn und Köln – Festival 08/23
Faszinierendes historisches Erbe
Internationale Stummfilmtage 2023 in Bonn – Festival 08/23
Komplizinnenschaft
Das IFFF bietet einen Blick auf feministische Solidarität – Festival 04/23
Reizüberflutung mit Konzept
Symposium der Dokumentarfilminitiative – Festival 01/23
Kurz, aber oho!
Der „Short Monday“ bietet dem Kurzfilm einen Platz – Festival 12/22
Traum vom Raum
Deutscher Wettbewerb des 16. Kurzfilmfestivals Köln – Festival 11/22