Über vier Tage bot der Soundtrack Cologne-Kongress seinen Besuchern in den Räumlichkeiten der Fritz Thyssen Stiftung nicht nur Gelegenheit für Branchengeflüster und gepflegtes Networking in Sachen Composing für Film, Serie und Games, sondern ließ auch internationale Größen zu Wort kommen. So zeigte man sich stolz, in diesem Jahr die kanadische Komponistin Lesley Barber willkommen zu heißen, deren Score für Kenneth Lonergans „Manchester by the Sea“ dem vielgerühmten und oscarprämierten Drama einen besonderen emotionalen Sog verlieh.
choices: Frau Barber, Hand aufs Herz, ist es für professionelle Komponisten überhaupt möglich, sich im Kino von einem guten Score mitreißen und berühren zu lassen? Kennt man die Mechanismen der Filmmusik als Macherin nicht zu genau, um noch überrascht zu werden?
Lesley Barber: Ich versuche mein Vorwissen im Kino auszuklammern, so gut es geht. Ich lasse mich sehr gern von einer Filmerfahrung umarmen und mitreißen. Natürlich weiß man, welcher Ton gerade welche Gefühle wecken will und manchmal fragt man sich, warum jemand sich für oder gegen ein bestimmtes musikalisches Thema zur bestimmten Zeit entschieden hat. Wenn man aber nicht in der Lage wäre, die Musik und die Erfahrung, die Künstler ihrem Publikum anbieten, einfach anzunehmen, wäre das schade. Vielleicht ist das auch die Herausforderung für Kunstschaffende – professionell zu werden und dabei sensibel zu bleiben. Nicht nur für die Klassiker, die einen früher geprägt haben, sondern auch für moderne Strömungen.
Fällt es Ihnen schwerer, sich für moderne Arbeiten zu begeistern, als für die Scores der alten Schule?
Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass man modernen Scores nicht anhören würde, dass sie sich oft sehr an den „Rhythm and Drone“-Klangstrukturen orientieren, wie sie Hans Zimmer geprägt hat. Die sollen antreiben und Spannung heraufbeschwören und passen sich den populären Filmen an, die auch ablaufen wie Uhrwerke und von Plot und Spektakel getrieben sind. Die Filme und die Soundtracks, die mich geprägt und beigeistert haben, waren mehr von Figuren und oft kleinen, privaten Geschichten geprägt. Umso glücklicher bin ich, dass ich mit Kenny Lonergan zusammenarbeiten konnte, der von ähnlichen Stoffen fasziniert ist.
Ihr Score für „Manchester by the Sea“ war nicht ihre erste Zusammenarbeit mit Kenneth Lonergan, mit dem Sie bereits 2000 bei dessen Debüt „You Can Count On Me“ gearbeitet haben. Sucht man als Komponist nach Regisseuren, die eine ähnliche Sesibilität und Begeisterung für Stoffe an den Tag legen, wie man selbst?
Wenn man einen Regisseur findet, dessen Art des Erzählens man schätzt und der seinerseits eine Begeisterung für die Arbeit an den Tag legt, die man einem Projekt beisteuert, dann ist das wohl für jeden Composer ein absoluter Glücksfall. In Kenny habe ich einen solchen Kollaborateur gefunden. Auch die Arbeit mit Patricia Rozema war sehr erfüllend. Wenn ich daran denke, dass andere Menschen in der Branche nie das Glück haben mit so talentierten Regisseuren zu arbeiten, bin ich sehr dankbar für die eigene Laufbahn.
Was macht eine besondere Partnerschaft zwischen Autorenfilmern und Komponisten aus?
Die kreative Augenhöhe, auf der man sich begegnet. Künstler wie Kenny oder Patricia Rozema stecken manchmal Jahre an Arbeit und so viel Leidenschaft in ein Projekt, dass ich mich geehrt fühle, wenn ich den Auftrag erhalte, solche Projekte mit Musik versehen zu dürfen. Wenn es dann auch diesen gegenseitigen Respekt und ein Ausmaß an Vertrauen gibt, kann man auch als Composer Ideen mit in die Arbeit bringen, die eine Geschichte eben auch erzählerisch vorantreiben können.
Wie in etwa?
Die Arbeit mit Patricia hatte diese Qualität. Ich erinnere mich an die Arbeit an der Jane Austen-Verfilmung „Mansfield Park“, da gab es diese eine Ballszene, in der ein Orchester spielte. Die Musik in dieser Szene war also ein Fall von Quellenmusik, die ihre Wurzeln innerhalb der Realität einer Szene hatte. Ich war dafür, dass die Musik dieser Szene sich in eine Score-Musik, also die größere narrativ motivierte Szene verwandeln sollte. Patricia mochte die Idee und damit veränderte sich eine bestimmte Szenenfolge. Es war einer dieser Momente, in denen die Musik als Vertonung der emotionalen Landkarte den Fluss der Erzählung mitbestimmen konnte.
Wie eine Art Co-Autor?
Das würde zu weit gehen, aber während Autoren und Regisseure über Kontext und Plot mit dem Verstand des Zuschauers in Kontakt treten, wendet sich der Komponist direkt an das Herz des Publikums. Das hat etwas ganz unmittelbares, was das Publikum nicht verstehen oder hinterfragen soll. Es ist eine andere, intuitive Art der Autorenschaft.
Ist es gängig, schon während des Schreibprozesses eingebunden zu werden?
Das ist von Film zu Film unterschiedlich. Es gibt Produktionen, in denen man auf einen fast fertigen Film stößt und man nur noch bestimmte Strecken zurücklegen muss, um eine Szene innerhalb einer vorgeschriebenen Zeit tonal von einer Emotion zur anderen zu tragen. Ein anderes Mal stößt man erst während des Rohschnitts zu einer Produktion. Ich persönlich bin gern so früh wie möglich involviert, um mich mit den Protagonisten und ihren Konflikten vertraut zu machen.
Kann eine Besetzung sich auf Ihre Arbeit auswirken?
Auf jeden Fall. Bei „Manchester by the Sea“ hat die Besetzung von Casey Affleck dazu geführt, dass ich bestimmte Themen in den Kompositionen umgeschrieben habe. Auf dem Papier kann eine Figur eine Dynamik haben, zu der man sich Gedanken macht und bestimmte Ideen hat, wie ihr Handeln sich auf die Geschichte auswirken könnte. Ein Darsteller und was man mit seiner Präsenz verbindet, macht einen großen Unterschied und kann das emotionale Klima einer Figur völlig verändern.
Passiert es hin und wieder, dass man von eigenen Stücken berührt wird?
Am Anfang ist das ganz klar der Fall. Man gibt immer viel von sich preis. Sich eine emotionale Beteiligung zu bewahren, auch wenn man seine Kompositionen während der Aufnahmen und in den verschiedenen Stadien der Produktion viele hunderte Male hört, ist da schon schwerer. Irgendwann ist Professionalität wichtiger. Wenn man die Scores dann jedoch in ein paar Jahren, wenn die Dreharbeiten lange abgeschlossen sind, nochmal hört und es einen doch wieder kriegt, dann weiß man, dass man etwas wirklich Gutes geschaffen hat.
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