choices: Herr Kawlath, Sie sind Mitglied im Präsidium des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Können Sie den Verband kurz beschreiben?
Bertram Kawlath: Wir sind mit gut 3300 Mitgliedern Deutschlands größter Industrieverband und gehören zu den vier großen Verbänden im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Unsere Mitglieder können als Rückgrat der deutschen Industrie gesehen werden. Wir arbeiten meist in Nischen mit großem Spezialwissen und liefern High-Tech-Lösungen, speziell auf unsere Kunden zugeschnitten. Der VDMA wurde vor 129 Jahren gegründet, hat also eine lange Tradition. Der Verband hat sechs Standorte in Deutschland und sechs Repräsentanzen weltweit, dazu ein Büro in Berlin und eines in Brüssel. Unsere Mitglieder – mich selbst eingeschlossen – sind vor allem mittelständische Unternehmen, sehr häufig auch familiengeführte Unternehmen. Wichtig ist auch, dass unsere Unternehmen ihre Maschinen und Anlagen zu circa 80 Prozent exportieren.
Wie steht der VDMA zum neuen Lieferkettengesetz?
Ich möchte betonen, dass ich natürlich im Herzen eins bin mit den Zielen dieses Gesetzes: Menschenrechte müssen unbedingt gewahrt werden und das hört auch nicht an Ländergrenzen auf. Ich stehe zu 100 Prozent hinter den Menschenrechten. Was aber das Lieferkettengesetz betrifft, so sehe ich das etwas differenzierter. Aus meiner eigenen beruflichen Realität heraus finde ich die Machbarkeit dieses Gesetzes problematisch. Der Maschinenbau ist – auch im Vergleich zu anderen Industriezweigen – sehr speziell: Wir sind eher kleine Unternehmen und arbeiten sehr international. Das macht die Erfüllung der Vorgaben des Lieferkettengesetzes sehr schwierig bis unmöglich. Nehmen wir ein Beispiel: Zu meinem Unternehmen Schubert & Salzer gehört eine Einheit, die in Ingolstadt sitzt. Dort habe ich ein sechsköpfiges Team, das in 17 Ländern bei 450 Lieferanten für Schubert & Salzer einkauft. Und diese Unternehmen in 17 Ländern haben ihrerseits wiederum viele Hundert Zulieferer. Im Maschinenbau kauft man Baugruppen ein, die aus verschiedensten Bestandteilen bestehen, die ebenfalls von Zulieferern stammen.
„Als hätte die Politik die Waffen gestreckt und ein Problem an die Industrie abgegeben“
Eine Baugruppe beziehe ich zum Beispiel von einem Hersteller aus Australien, der die Komponenten sowohl von einem Chipkonzern in den USA bezieht, als auch von Vorlieferanten aus Asien, die wiederum Rohstoffe von woanders erwerben. Ich kann als kleiner Mittelständler die Wahrung der Menschenrechte vielleicht noch bei einem direkten Zulieferer kontrollieren, aber darüber hinaus wird es schwierig und meist sogar unmöglich. Bereits der Chipkonzern in den USA auf der zweiten Stufe der Lieferkette wird mich als kleines Unternehmen nicht in seine Fabrik schauen lassen. Häufig geschehen die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen also außerhalb unserer Reichweite. Ich kann als Unternehmen nicht an jeder einzelnen Ebene meiner Lieferkette präsent sein. Ich versuche, all meine direkten Zulieferer weltweit alle ein bis zwei Jahre zu besuchen und achte dabei auch auf die Zwischentöne: Kennt der Chef seine Mitarbeiter, wie geht er mit ihnen um, wie sieht es in der Fabrik aus? Aber mehr kann ich kaum machen, denn es wird immer alles perfekt sein, solange ich vor Ort bin. Was nach meiner Abreise passiert, kann ich nicht kontrollieren, ich kann dort ja keine Videokameras aufstellen. Die Unternehmen stellen jetzt schon die ersten Anwälte ein, um darüber ‚Ablass-Scheine‘ – wie ich sie nenne – zu erhalten. Aber wir wollen ja die Wahrung der Menschenrechte, und von bunten Zetteln wird kein Kind gerettet.
Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass die Unternehmen durch die Marktmacht mehr Einfluss hätten, die Einhaltung der Menschenrechte zu erzwingen. Dann hätte das Lieferkettengesetz ja auch eindeutig etwas für sich. Wie sehen Sie das?
Die Marktmacht könnte hinsichtlich der richtig großen Unternehmen durchaus ein Argument sein. Allerdings sehe ich hier für den Maschinenbau keine großen Chancen. Unsere Produkte sind zu individuell, zu kleinteilig. Wir können keinen Zulieferer zur Wahrung der Menschenrechte zwingen, wenn wir im Jahr vielleicht fünf Maschinenteile bei ihm bestellen. An der Stelle hat man das Gefühl, als hätte die Politik die Waffen gestreckt und ein Problem, das für sie unlösbar ist, an die Industrie abgegeben. Das kann aber nicht die Lösung sein.
„Kein Maschinenbauer toleriert Kinder- oder Sklavenarbeit“
Sie sagen selbst, dass Ihnen natürlich sehr an der Wahrung der Menschenrechte gelegen ist. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um dies unabhängig von einem Lieferkettengesetz durchzusetzen?
Wir arbeiten seit vielen Jahren mit einem Code of Conduct, also quasi Benimm-Regeln für alle Geschäftspartner, mit denen wir zusammenarbeiten. Darin verpflichtet sich jeder dazu, die Menschenrechte zu achten und zum Beispiel dafür zu sorgen, dass nichts mit Hilfe von Kinderarbeit hergestellt wird. Für uns war das ein bewährtes und umsetzbares Mittel, das von der Politik aber nie wirklich anerkannt wurde. Und natürlich reagieren wir sofort, wenn uns zu Ohren kommt, dass an einer Stelle in unserer Lieferkette Menschenrechte verletzt werden. Kein Maschinenbauer toleriert bewusst Kinder- oder Sklavenarbeit sowie desaströse Arbeitsbedingungen, nur, damit unser Profit sich erhöht.
Was sind Ihre größten Kritikpunkte an dem am 12. Juni verabschiedeten Lieferkettengesetz und was hätten Sie gerne geändert?
Unser Hauptkritikpunkt ist, dass es sich um ein sehr pauschales Gesetz handelt, das zu viele Probleme gleichzeitig lösen will, ohne die Umsetzbarkeit im Blick zu behalten. Der hoch komplexe Maschinenbau wird in einen Topf geworfen mit deutlich weniger aufwändigen Produkten aus der Lebensmittel- und Textilindustrie. Der Maschinenbau braucht in seinen ganzen Lieferketten hochbezahlte, qualifizierte Arbeitsplätze und ist daher im Vergleich schon von vornherein nicht so anfällig für Menschenrechtsverletzungen. Wir möchten, dass das Gesetz umsetzungsfähig gemacht wird. Beispielsweise sollte die Kontrolle beschränkt werden auf den direkten Zulieferer. Außerdem wären Hilfestellungen wie eine Whitelist von Ländern hilfreich, die zum Beispiel europäische Staaten grundsätzlich vom Gesetz ausnehmen. Dann könnten wir uns mit Hilfe einer Risikobewertung vor allem um die Länder kümmern, in denen es häufiger zu Menschenrechtsverletzungen kommt.
Hinsichtlich der Bürokratie wäre es schon gut, wenn wir uns bei den Kontrollen vor allem auf die Brennpunkte konzentrieren könnten, also ein risikobasierter Ansatz. Der Haftungsausschluss wenn es um Unternehmen geht, die weiter unten in der Lieferkette sind, ist auch nicht explizit im Gesetz vermerkt – auch wenn ich inzwischen mehrfach davon gehört habe. Und was mir vor allem fehlt, ist die genaue Definition von Menschenrechtsverletzungen, die kontrolliert werden sollen. Für mich ist es ein gravierender Unterschied, ob wir nun von Sklaven- und Kinderarbeit reden oder einzuhaltenden Pausenzeiten sowie der Frage nach freien Gewerkschaftswahlen. Das muss anders gewichtet werden. Mir erscheint das Gesetz sehr plakativ und ich wünsche mir weniger Show und dafür mehr Machbarkeit, die dann auch den erwünschten Erfolg haben kann.
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