Dienstag, 8. Oktober: Nach seinem Einsatz auf mehr als 20 internationalen Filmfestivals ist Angela Christliebs Dokumentation „Naked Opera“ über die Vorlieben des exzentrischen Luxemburgers Marc Rollinger seit Mitte Oktober nun auch bundesweit in den Kinos zu sehen. Eine Preview vor dem eigentlichen Start feierte man in Köln, wo nicht nur Bettina Brokempers Koproduktionsfirma „Heimatfilm“ ihren Sitz hat, sondern auch die der Verleihfirma RealFiction. Deren Chef Joachim Kühn begrüßte in seinem Kino am Eigelstein, der Filmpalette, sowohl die Regisseurin als auch die Koproduzentin und den Protagonisten des Films. Marc Rollinger sorgte schon vor der Projektion des Films im Publikum für die ersten Lacher, als er konsterniert feststellte: „Heute werde ich den Film nicht mit anschauen können, weil ich erstmal mein Auto parken muss. Normalerweise bin ich es gewohnt, dass das andere für mich machen…“ Prompt bot sich Bettina Brokemper als Parkservicekraft an, wodurch Rollinger den Film zum 17. Mal im Kino genießen konnte.
Dass der Opernliebhaber mit Hang zu hübschen Escortboys und teuren Weinen mittlerweile solch ein Fan von „Naked Opera“ ist, erscheint durchaus ambivalent. Während und nach den Dreharbeiten kam es zwischen ihm und Regisseurin Angela Christlieb durchaus zu schweren Auseinandersetzungen, die sogar in einem Rechtsstreit gipfelten. Am Tag der Preview war in der Kölner Filmpalette davon nicht mehr viel zu spüren, obwohl man gleichwohl erkannte, dass sich die beiden sehr wohl in die Haare bekommen können. „Zuerst fand ich Marc sehr sympathisch. Das hat sich dann während der Dreharbeiten stark verändert“, gab Christlieb auf der Bühne, direkt neben Rollinger, unumwunden zu. Warum das so war, ergab sich ebenfalls sehr deutlich beim Publikumsgespräch. Rollinger attestierte hier: „Während der Dreharbeiten war mir meine Macht sehr bewusst. 90% der Drehorte habe ich ausgesucht und wenn mir etwas nicht passte, bin ich aufgestanden und gegangen.“ Als despotischer Unsympath kommt Rollinger bei vielen Zuschauern deswegen auch nach dem ersten Anschauen des Films rüber. Doch diese Einschätzung ändert sich, wenn man den Film mehr als einmal ansieht, wie der Protagonist auch im Selbstexperiment herausgefunden hat. Viel wichtiger sei ohnehin die Frage, inwiefern man als Zuschauer nach dem Anschauen von „Naked Opera“ etwas über Marc Rollinger und seine Person erfahren hat. Nach seiner eigenen Einschätzung herzlich wenig. Wer ihn vorher schon kannte, würde nichts Neues über ihn erfahren, und alle anderen würden sich ein Bild von ihm machen, das nicht unbedingt der Realität entsprechen müsse.
Schließlich wäre gar nicht klar, was an dem Film dokumentarisch sei und wo die Fiktion beginne. „Ich reise dem Film hinterher, um alle Missverständnisse aufzuklären“, erläuterte Rollinger, der es sich nicht nehmen ließ, auch einige der filmischen Tricks von Angela Christlieb auszuplaudern. Das Kölner Publikum fühlte sich bei dem witzigen Schlagabtausch der beiden jedenfalls durchweg gut unterhalten und stellte etliche Fragen zu den Produktionsbedingungen, zu der Zufriedenheit der beiden mit dem Endprodukt und der Rezeption des Films auf den verschiedenen Festivals. Joachim Kühn brachte es sehr treffend auf den Punkt, als er das Q and A zum Ende brachte und noch einmal auf den offiziellen Kinostart von „Naked Opera“ hinwies: „Der Film ist nur die Spitze des Eisbergs, aber das Rahmenprogramm, das Sie heute Abend hier erlebt haben, können wir leider nicht bei jeder Vorstellung mitliefern.“ Einiges davon wird sich dann aber sicherlich unter den Extras finden, sobald der Film auf DVD erscheint.
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