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Liest uns die Leviten: Kabarettist Hagen Rether
Foto: Jörg Baumann

Messerscharf

27. Januar 2012

Hagen Rether in der Wuppertaler Stadthalle – Theater in NRW 01/12

Nach einem Abend mit Hagen Rether fühlt man sich irgendwie vor den Kopf gestoßen, als hätte man was verpasst, als wäre da was schief gelaufen und man ging geradeaus und nun hat man die Leviten gelesen bekommen – von diesem gut gekleideten Mann mit Pferdeschwanz, der über unsere Müllverfrachtungen nach Nigeria spricht, der uns an die Waffenexporte der Regierung in arabische Diktaturen erinnert, der sagt, was schon vor 25 Jahren Usus war und heute als Innovation verkauft wird, wie der Atomausstieg zum Beispiel.

Es ist aber genau diese dünne Linie zwischen pointierter Unterhaltung und ungeschminktem Gesellschaftsspiegel, die Hagen Rether auf der Bühne zwischen sich und dem Publikum entlang schreitet. In den deutlichsten moralischen Anklagen, die wir gerne öffentlich teilen, verbirgt sich bereits das eindimensionale Denken. Rether macht dies an einem Namen deutlich: Guttenberg. Selten wurde der ohnehin polarisierende Franke in 180 Minuten (!) so oft geschmäht. Aber hinter der Endlosschleife lässt Rether seine Zuschauer wissen: „Wenn das ein Skandal war, was war dann …?“ Bei Rether wird die Guttenberg-Plagiats-Debatte zum medial aufbereiteten Kadaver, den die pseudo-öffentliche Meinung zu zerfressen weiß. Ihr Nachfolger heißt Wulff.

Die Kunst, die Rether ins müde Kabarettleben Deutschlands geholt hat, liegt nicht nur in den messerschaften Kommentaren, den moralisch-zynischen Anklagen. Sie ist vor allem auch auf das Redetempo, auf die gedehnten Pausen und auf das Spielen mit der erwartungsvollen Stille zurückzuführen. Nur wer sich der moralischen Brisanz seiner Zeilen bewusst ist, kann mit einem restlos ausverkauften Saal so spielen – und zwischendurch vier Bio-Bananen nah am Mikrofon verdrücken.

Auch an diesem Abend in der Wuppertaler Stadthalle bewies Hagen Rether eindrucksvoll und in für heutige Verhältnisse epischer Länge, dass er gekonnt zwischen Pointen, Predigten und Moralpranger changieren kann. Wie scheinheilig heute die medial präparierte Realität ist, macht er vor, indem er Michael Jacksons „Earth Song“ singt. Das Stück einer medial zugerichteten Person, die aber vor acht Jahren über jenen Klimawandel sang, der uns heute mit Furcht vom Blätterwald zubereitet wird.

Dawid Kasprowicz

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