Tag 3 des Festivals beginnt mit der Aufforderung von John Cage: „Holen sie sich aus dem Käfig raus, in dem sie sich befinden.“
Die Sonne brennt über dem Dom. Im Dunkeln des Kinosaals zeigt uns Avantgarde-Komponist John Cage wie er die ihn umgebende Welt mit seiner Denkart locker aus der Hüfte durchbohrt.
Stets mit der ihm eigenen, tiefenentspannten Nonkonformismus. Die Dokumentation „John Cage“ von Klaus Wildenhahn besticht durch Eleganz, Humor und Weisheit. Das schwarz-weiße Bild hat Stil. Die Botschaft der Worte ist halb Dynamit, halb gemächliche Erzählung aus dem oft absurden Alltag von Kunstschaffenden. Die Art des Sprechers ist eine trockene, klassische Kommentator-Komik. Wir sehen die Entstehung von Kunst vor der 16mm-Kamera von Klaus Wildenhahn, der 2018 verstarb. Im Film wird humorvoll Tacheles geredet über die reale Situation des Künstlers.
„Monatliche Arbeitslosenunterstützung: die Hälfte vom Normalverdienst.“ Die Kunst zu überleben. Wir sehen auch Merce Cunnigham, den Lebensgefährten von Cage, der Choreografien inszeniert ohne vorher die Musik gehört zu haben. Nur zeitliche Verabredungen gibt es. Nicht das ganze Publikum ist von dieser Art Darbietung stets begeistert. „Sie haben kein Recht ihr Publikum so zu behandeln“, heißt es im wütenden Leserbrief einer Zuschauerin. Jaja, der Geschmack des Publikums. „Die Erinnerung des gewohnten Geschmacks zu lösen“, das ist eines der Potentiale der Kunst.
Ein einmal geprägter Geschmack scheint zunächst fest verankert. Doch Cage tut einen Teufel und richtet sich nach keinem Geschmack oder Prinzip. Nur das Zusammenspiel der geliebten Kompanie zählt. Auf die Frage hin, ob sie nicht auch mal Kinder haben wolle, sagt eine der innerlich und äußerlich attraktiven Tänzerinnen strahlend: „Ja schon, aber die Kompanie ist doch da. Sie umsorgt mich liebevoll. Außerdem will ich nur tanzen. Tanz ist gesund. Er befreit. Der eine Tanz setzt frei. Der andere lädt auf.“
Ágota Harmati, die für die Auswahl dreißig Stunden Filmmaterial von Cage zuständig war, ergänzt, dass Cunningham dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. „Er war Anfang der siebziger Jahre davon überzeugt, dass das Medium Fernsehen auch Experimentelles darstellen kann.“
Und wo stehen wir heute? Mit dieser Frage im Kopf übernimmt die bezaubernde Celia Rowlson-Hall die Leinwand – wortlos.
Das Ausnahmetalent in Sachen Tanz, Regie und Choreografie widmet sich der Geschichte der heiligen Maria und das mit so viel Style, dass die Vogue bereits mehrfach über sie berichtet hat. Und in der Tat, der Film ist optisch stimmig, nicht überladen und sehr metaphorisch. Auch wenn kein einziges Wort gesprochen wird, hat man zu keiner Sekunde das Gefühl, dass nichts gesagt wird. Im Gegenteil – das was wirklich kommuniziert werden soll, hat so viel mehr Raum und Kraft sich zu entfalten. Rowlson schreibt und dirigiert Filmgeschichte, wie ein junger Tarantino mit sehr eigener, kalligrafischer Handschrift, Twist, Tiefe und Humor. Und so verwundert es auch nicht, dass sie ein Loch in dem Himmel schießt, um es regnen zu lassen.
„MA“ zeigt ein seltenes, sauber formuliertes, keusches und gleichzeitig attraktives Frauenbild, das in Zeiten von fast selbstverständlichem, Supermarkt-ähnlichem Tinder-Angebot und Schönheitsoperationen zur Entsprechung von fragwürdigen Idealen der weiblichen Seele gut tut.
Das Gesamtwerk aus Cast, Humor, Musik, Bild und Ton fasziniert und macht Hunger auf mehr. Als am Ende ein Kind mit Zahnlücke „Amazing Grace“ singt und ich weine, lacht jemand im Publikum. Sicherlich ein Film, der nicht für jeden sofort zugänglich ist. Aber das wollen die gezeigten Filmperlen des Moovy Festivals auch nicht – sie wollen bewegen, wie nur ein Tanz oder eine Geste es kann.
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