Die Nummer hatte Comedy-Qualität. Da verkauft sich ein Regisseur als Dauer-Revoluzzer, wird im Iran (unter Protest natürlich) für seine „Mutter Courage“-Inszenierung ausgezeichnet und kehrt mit stolz geschwellter Brust zurück. Claus Peymann, der theatrale Reißzahn in Politiker- wie Mullahhintern, hat mal wieder eine große Schlacht geschlagen.
Von einem solchen Politikverständnis könnte das Festival Politik im Freien Theater kaum weiter entfernt sein. Kurator Rainer Hofmann schätzt an den eingeladenen Regisseuren gerade das „entspannte Verhältnis zur Politik, ohne den Anspruch, zum Protest aufzurufen und die Gesellschaft verändern zu wollen.“ Trotzdem kann von Politikferne keine Rede sein. Gerade in den letzten Jahren beobachtet Hofmann eine „Rückkehr des Dokumentarischen ins Theater“, in deren Zentrum die Frage steht, wie gesellschaftliche Wirklichkeit überhaupt noch repräsentiert werden kann. Dieser Entwicklung wird das von der Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltete Festival, das vom 13.-23. November in Köln stattfindet, nach-spüren.
Während früher das Polittheatermanna oft blind über die Veranstalterstädte ausge-gossen wurde, hat man sich diesmal zu einer ortsspezifischen Vernetzung ent-schlossen. Fünf Eigenproduktionen werden sich mit der Stadt Köln beschäftigen, von kölschen Wünschen (Drama Köln) bis zum stadtspezifischen Lebenslauf (Matthaei & Konsorten). Das, was Bühnen zwischen Essen und München seit einigen Jahren praktizieren, greift nun auch bei Festivals: anstatt Universal-Avantgarde aus der theatralen Wundertüte, Produktionen, die mit dem Ort zu tun haben, an dem sie gemacht werden.
Das dürfte die Akzeptanz stärken, löst allerdings ein Grundproblem nicht. Mit sei-nem dreijährigen Rhythmus geht das Festival am Produktionsrhythmus der freien Gruppen vorbei, die gar nicht über die Ressourcen verfügen, um Inszenierungen so lange im Repertoire zu halten. So bleibt es bei einer Moment-, anstatt einer Bestandsaufnahme. Nichtsdestotrotz kann sich das Programm sehen lassen. Rainer Hofmann hat dem Kölschen Block deutschsprachige Konkurrenz an die Seite gestellt: Aus der Schweiz reisen Gruppen wie Asa 400 (mit Lukas Bärfuss’ „Der Bus“), Mass & Fieber (mit dem Bürgerkriegsstück „Die schwarze Kammer“) oder Far A Day Cage mit „Nothing Company“ als Kommentar zur aktuellen Finanzkrise an.
Ergänzt wird das Programm von fünf internationalen Produktionen, die sich eher mit der „politischen Hardware“ beschäftigen, wie Rainer Hofmann sagt. Am erschüt-terndsten wohl Hotel Modern mit „Kamp“, das einen Tag im Lager Auschwitz mit Figuren nachstellt. Komisch und ernst zugleich geht es bei den „Heißen estnischen Männern“ zu, die die Konflikte postsowjetischer Staaten zur Fortpflanzungsfrage umdefinieren: je mehr estnische Kinder, desto mehr estnische Nationalität. Mit anderen Worten: Hätten die Georgier die Abchasen und Osseten zum ‚richtigen’ Sex überredet, wäre es gar nicht soweit gekommen.
Politik im Freien Theater,13.-23.11., Köln,
Info und Karten: www.bpb/politikimfreientheater.de I 0221 95 15 90 23
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