Lässt sich ein Flüchtlingslager als neue Form des Kollektiven denken? Auf den ersten Blick klingt die Idee der Architekten Alessandro Petti und Sandi Hilal absurd, fast zynisch. Doch schon die Vorstellung ihres Projekts „Campus in Camps“, das sie im palästinensischen Flüchtlingslager Dheisheh bei Bethlehem entwickelten, im Rahmen der Kölner Akademie der Künste der Welt geriet ungewöhnlich. Keine Lecture, kein Vortrag mit Foto und Film, sondern mehrere Veranstaltungen mit offenen Diskussionen und zahlreichen Gästen – abgehalten mal in einem öffentlichen Park, mal in einer Galerie.
„Campus in Camps“ ist ein experimentelles Bildungsprogramm mit Flüchtlingen, das die üblichen Narrative von Viktimisierung, Armut und Passivität zu durchbrechen versucht.
In den Augen von Hilal und Petti unterlaufen die Lager im Nahen Osten den klassischen Gegensatz von privat und öffentlich. Gerade weil es kein Eigentum an Grund und Boden gebe, die Organisationsformen aber trotzdem funktionieren, sieht das italienisch-palästinensische Architektenpaar darin einen Ansatz, Gemeinschaftlichkeit neu zu denken. Die beiden luden ein zu einem gedanklichen Parcoursritt von der Geschichte der Lager über Definitionen des Gemeinschaftlichen bis zur Analyse der Selbstdarstellung der Flüchtlinge – geistiges Manna im an intellektuellen Debatten eher armen Köln.
Die Veranstaltung ist eines von vielen Beispielen, mit denen die Akademie der Künste der Welt in Köln derzeit an ihrem Profil werkelt. Zehn Monate nach ihrer Gründung herrscht da noch kräftig Bedarf. Gründungsanlass und Ziel war, mit Blick auf die migrantische Bevölkerung der Stadt den internationalen künstlerischen Austausch zu fördern. Dies soll geschehen mit Hilfe von Projekten internationaler Künstler mit Kölner Kulturinstitutionen, einem Stipendiatenprogramm, an dem auch Alessandro Petti und Sandi Hilal teilnahmen, oder einer Jugendakademie. Doch vor einem Monat knirschte es lautstark im Akademiegetriebe. Präsidentin Galit Eilat trat wegen angeblich zu geringen Einflusses der internationalen Akademiemitglieder bei der Programmgestaltung zurück.
Entschlüsselt richtete sich die Klage gegen Generalsekretärin Sigrid Gareis, die in Köln die Stellung hält. Nun, nach einer Mitgliederversammlung, wurde daraus ein Rücktritt vom Rücktritt: Eilat kehrt in ihr Amt zurück, und Sigrid Gareis scheidet Ende des Jahres aus. Angeblich wolle die Generalsekretärin wieder stärker inhaltlich arbeiten. Warum sie dann nicht gleich ihren Rücktritt eingereicht hatte, bleibt die Frage. Hinter den Kulissen wird derzeit heftig an Strukturverbesserungen gearbeitet. Klar ist aber, dass es ohne eine intellektuell profilierte Persönlichkeit, die auf Augenhöhe mit Mitgliedern, Kulturinstitutionen und der Politik kommuniziert, nicht gehen wird.
Außerdem fehlt es der Akademie als Label derzeit noch an Sichtbarkeit in der Stadt. So spannend Diskussionen mit den Stipendiaten Petti und Hilal sein mögen, es fehlen bisher die großen Kooperationsprojekte. Wird hier nicht Abhilfe geschaffen, dürfte die Politik im hoch verschuldeten Köln bald unruhig werden.
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