Als bundesweit einmalig bezeichnete Ute Schäfer, NRW-Kulturministerin, die freie Tanzszene des Landes bei der Eröffnung des Festivals „tanznrw13“ in Bonn. Tatsächlich ist die Neuausrichtung der Tanzförderung in NRW ein Meilenstein für den Freien Tanz, der neben den großen Ballett-Ensembles das Land erst zum Tanzland macht. Vorbildlich erscheint die Förderstruktur mit ihren gezielten Programmen unter anderem für die Spitzenförderung der Freien Tanzszene. Inzwischen erhalten sechs Choreografen und Choreografinnen die auf drei Jahre angelegte hochdotierte Förderung. Verständlich also, dass sich das Land „bundesweit in einer Vorreiterrolle“ (Ute Schäfer) sieht. Fehlte also nur noch ein tolles Tanzfestival, das diese Vorreiterrolle widerspiegelt.
Doch daran hapert es seit langem. Sang- und klanglos sind alle Tanzfestivals wieder eingegangen. Selbst das große Internationale Tanzfestival, das Pina Bausch seinerzeit an sich zog und zu ihrem Fest gemacht hat, ist seit ihrem Tod nicht mehr belebt worden. Und „tanznrw“, das Festival der Freien Szene, bleibt wie seine Vorgängerin, die „tanzstrasse nrw“, eine Abspielförderung ohne künstlerisches Profil. Während andere Festivals kompetent kuratiert werden, glaubt „tanznrw“ ohne Kurator auskommen zu können. Stattdessen wirft eine Produzentengemeinschaft ihre jeweiligen Ensembles in einen Pool und verteilt sie dann auf die zahlenden Kommunen. Als Festival hat das noch nie funktioniert. Zu dezentral, zu zersplittert – so ist noch nie Festivalstimmung aufgekommen. Es fehlt das Zentrum, die Agora, wo Eindrücke ausgetauscht werden, wo gemeinsam gefeiert wird. Das „tanznrw“-Modell wird aber auch der entwickelten NRW-Tanzszene nicht gerecht. Dabei gab es in NRW schon andere Formate, etwa das „Meeting Neuer Tanz“, wo man sich mit anderen messen konnte. Es fehlen die verbindende Klammer, Uraufführungen und vor allem ein zukunftsweisendes künstlerisches Konzept. Uraufführungen (mit Schalk im Nacken) gibt es dafür regelmäßig bei VA Wölfl und dem Ensemble Neuer Tanz in Düsseldorf. Da (auch) bildender Künstler, sind seine Tanzstücke wie die Edition eines Kunstwerkes durchnummeriert.
Hohe Erwartungen hatte man an die Choreografen der Spitzenförderung. Doch deren Beteiligung an „tanznrw13“ erschien fast wie eine Pflichtübung. Keiner nutzte die Chance zur herausragenden Kür und präsentierte auch nur ansatzweise eine neue oder interessante künstlerische Position, die dem zeitgenössischen Tanz und der Tanzszene von NRW Impulse gäbe. Besonders der hochgelobte Choreograf Ben J. Riepe enttäuschte mit seinem neuen Stück „Don’t ask, don’t tell“. Bislang bekannt für seine phantastischen szenischen Tableaus voll tiefgründiger Metaphorik, scheint er nun seinen künstlerischen Biss verloren zu haben. Von einer kostenaufwändigen Recherche in Indien brachte er zwar einen Ko-Choreografen, aber inhaltlich wenig Konkretes zum Thema kulturelle Konvention/Sexualität mit. Angesichts der sexuellen Gewalttaten in Indien, die nicht einmal ansatzweise erwähnt wurden, wirkt das Stück mutlos und verzagt, verkümmert zum intellektuellen Geplänkel. Wer angesichts der Tänzer im Tennisdress einen schnellen, inhaltlich präzisen Schlagabtausch erwartet hatte, wurde enttäuscht.
So blieb es den weiteren ausgewählten Choreografen vorbehalten, doch noch Pluspunkte für das Festival zu sammeln. Zwei sind zu erwähnen, die sich trotz ganz unterschiedlicher Vorgehensweise beide mit der Frage von äußerem Schein und innerer Befindlichkeit befassen. Dank einer Residenz bei PACT Zollverein wurde das hessische Duo Verena Billinger/Sebastian Schulz ins NRW-Festival geschummelt. Ein Glücksfall, denn ihre Tanzperformance „First life“ nimmt das im Tanz so beliebte Thema Beziehung ironisch aufs Korn. Nackt kommen beide auf die Bühne, ziehen sich an, agieren bewegungsreduziert, ziehen sich wieder aus und gehen nackt. Das Äußere wird zur Metapher der Innerlichkeit, die skurrile Nüchternheit des Umgangs zum Sinnbild für die unerfüllbare Sehnsucht nach Liebe. Wo bei Billinger/Schulz die Bühne nackt und leer ist, hängt sie in „Exuviae“ von der Kölner Choreografin Yoshie Shibahara voller Figurinen aus Alufolie. In diesem grandiosen Bühnenbild bewegt sich ein Butoh-Tänzer in stiller Selbstbezogenheit, während Shibahara als pedantische Museumswärterin über die Figurinen wacht und eine schon mal plattbügelt: Die äußere Hülle (Exuviae) ist halt kein Wert an und für sich. Beide Choreografinnen arbeiten mit einer Ästhetik der Form, die auch für den Umgang mit ihren inhaltlichen Anliegen steht. Cool und distanziert, leichthändig und voll tiefgründigem Humor thematisieren sie Existenzfragen.
Wenn „tanznrw13“ etwas Positives zeigte, dann, dass die Freie Tanzszene in NRW noch über ein enormes künstlerisches Potential verfügt. Ein qualifizierter Kurator würde diesen Schatz in einer neuen Festivalform heben können.
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