„The Democratic Set“ nennt das australische Back to Back Theatre sein Theaterprojekt, mit dem es derzeit in Europa unterwegs ist. Düsseldorfs neuer Intendant Staffan Valdemar Holm hat die Theatergruppe eingeladen, ihr Projekt auch am Rhein zu zeigen, denn dieses Set, das nach Werkzeugtasche klingt, funktioniert wie ein Schraubenzieher für das Gemeinwesen.
Im Mai gastierte das Back to Back Theatre damit beim wildwuchs-Festival in Basel. In der Klingental-Turnhalle war ein 3m x 3m x 3m großer Holzwürfel mit zwei seitlichen Türen aufgebaut. Jeder Basler Anwohner, der sich meldete, durfte in der Box zehn Sekunden lang nach Lust und Laune agieren, hampeln, singen, schreien, während eine Kamera mit fester Einstellung daran vorbeifuhr. Dabei waren auch der 34-jährige Niklaus und die 28jährige Sieglinde, die ihr erstes Kind erwarten. Ihre Idee: Sich bis auf die Unterwäsche ausziehen und damit ein Bild entstehen zu lassen, das von Unschuld, Vertrautheit bis zur Dokumentation der Schwangerschaft reicht.
Wie Niklaus und Sieglinde haben zahlreiche Basler von der Auftrittsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Die unterschiedlichen Takes wurden dann zu einer Film-Sequenz zusammengeschnitten und beim Abschlussfest des wildwuchs-Festivals gezeigt. Demokratie, sagt Bruce Gladwin, der künstlerische Leiter des Back to Back Theatre, erlaubt den Menschen, „gesehen und gehört zu werden, eine Stimme zu haben und beachtet zu werden“. Seit 22 Jahren arbeiten beim Back to Back Theatre, das in der südaustralischen Hafenstadt Geelong beheimatet ist, geistig Behinderte mit Nicht-Behinderten zusammen. Gladwin hatte zunächst als freier Schauspieler und Regisseur mit der Gruppe gearbeitet, bevor er 1999 die künstlerische Leitung übernahm. Das Themenspektrum der Australier ist weit gefächert. Eher selten, dass sie sich wie in „Soft“ (2002), das von einem Ehepaar und ihrem ungeborenen Kind mit Downsyndrom handelt, konkret mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen. Gemeinsamer Nenner ihrer Produktionen sind eher grundsätzliche Fragen nach Inklusion und Exklusion, dem sozialen Raum und den damit verbundenen Formen der Wahrnehmung. Der Blick richtet sich dabei vor allem auf die Marginalisierten der Gesellschaft, ob das nun Behinderte, Kleingangster, Fettleibige oder grundsätzlich Außenseiter sind. Am überzeugendsten gelang das in „Small Metal Objects“, mit der der Gruppe der internationale Durchbruch gelang. Bei den Theaterformen in Hannover 2007 war im Untergeschoss der Fußgängerzone am Kröpkeplatz eine Tribüne für die Zuschauer ausgebaut, die mit Kopfhörern den in der Menge agierenden Schauspielern lauschten. Es ging um zwei Kleindealer, die einem Rechtsanwalt und einer Galeristin Kokain verkaufen wollen, was misslingt. So einfach der Plot, so spannend, wie sich hier unterschiedliche Ökonomien und soziale Gruppen begegnen, wie die Darsteller im Grenzland zwischen Theatralität und Alltagsdarstellung, sozialer und theatraler Rolle durch die Zuschauer verortet werden mussten.
Workshop: 29.10.-1.11.
Filmpräsentation: 6.11.
Back to Back Theatre: „The Democratic Set“ | Schauspielhaus Düsseldorf, Gustaf-Gründgens-Platz 1 | Anmeldung ab 7.9. | www.duesseldorfer-schauspielhaus.de
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