Über 20.000 Festivalbesucher, der Großteil trägt dunkelschwarze Gewänder. Sie sind behangen mit glänzenden Ketten, neonfarbenen Accessoires, bunten Federn oder tragen zerfetzte Kleidung am Leib. Ihre Gesichter ziert mitunter aufwändigste Schminkkunst – von bezaubernder Elfe bis zerfleischtem Zombie ist alles dabei. Manch einer sieht aus wie ein modernes Kunstwerk, kunterbunt, schrill und surreal. Auffallend sind die „Steampunks“, eine Kulturszene, die geprägt ist durch viktorianische Kleidung, kombiniert mit retro-futuristischen Elementen. Ebenfalls sieht man Frauen in aufwändigen Renaissance-Ballkleidern, inklusive gigantischem Reifenrock. Andere scheinen hingegen direkt einem Horrorfilm John Carpenters oder einem Sci-Fi-Movie à la „Das fünfte Element“ entsprungen zu sein. Aber diese Beschreibungen kratzen bloß an der Oberfläche von dem, was man an kuriosen und interessanten Gestalten auf dem M’era Luna in Hildesheim beobachten kann – so z.B. muskulöse Männer im plüschigen Einhorn-Kostüm, oder auf Stelzen balancierende Schausteller.
Eine Frage des Prestiges
Direkt vor und hinter dem Haupteingang zum Konzertgelände, befindet sich das Epizentrum der düsterkulturellen Modenshow. Denn jeder, der die vielfältigen Unterhaltungsangebote des Festivals nutzen möchte, muss hier früher oder später durchgehen. Das ist die Chance der Fotografen, den perfekten Schnappschuss zu erhaschen, worauf sich die potentiellen Modelle nur allzu gerne einlassen. „Sehen und gesehen werden“, lautet die Devise.
Wikingerdörfer, Fetischboutiquen & Pommesbuden
Bei betreten des Mittelaltermarktes, duftet es Überall nach kulinarischen Delikatessen aus längst vergessenen Tagen – selbstgebackenes Brot, frischer Met und der Geruch von gepökeltem Fleisch hängen deftig in der Luft. Die Auswahl ist so enorm, das man gar nicht weiß, wovon man zuerst probieren möchte. Händler bieten Silber- und Bronzeschmuck, handgenähte Gewänder und Felle zum Verkauf an. Ein Schmied nimmt sogar vor Ort Auftragsarbeiten an und man kann ihm bei der Arbeit zusehen. Wem das zu langweilig ist, der kann seine Kriegskünste feilen: Von Axt werfen, Bogenschießen bis „Hau den Lukas“ ist alles dabei. Oder darf es ein Blick in die Zukunft sein? Den gibt es bei der örtlichen Wahrsagerin. Für einsame Abenteurer gibt es als besonderes Schmankerl die „Kuppeley“, eine Art Schwarzes Brett für Gesuche sexueller Natur – für wenige Taler kann man hier eine Annonce aufgeben, oder auf eine vorhandene Schweinerei antworten. Was natürlich auch nicht fehlen darf sind Folkkonzerte und Feuertänzer. Hier findet man wahrhaft alles, was das Ritterherz höher schlagen lässt.
Das restliche Festivalangebot ermöglicht eine Menge an Zeitvertreib und Zerstreuung. Natürlich gibt es, wie für die Szene üblich, eine enorme Anzahl an Gothic-, Metal-, oder Fetischgeschäften, die das komplette Sortiment an extravaganten Boots, glänzendem Schmuck und alternativer Kleidung bieten. Im hinteren Bereich der Einkaufsmeile hat man zusätzlich eine ganze Halle aufgebaut, für die diversen Modedesigner und High-Fashion-Boutiquen – die Preise sind aber dementsprechend auch enorm. Ebenfalls einen Tätowierer und einen Piercer findet man hier, bei denen man sich unter die Nadel legen kann. Wem eher nach schmerzfreier Entspannung zumute ist, kann sich hingegen am Festivaleingang von einer ganzen Armada von Masseuren durchkneten lassen
Neben den üblichen Konzerten, gibt es auch weitere Unterhaltungsmöglichkeiten. So z.B. Lesungen von Markus Heitz, Jörg Schneider und Christian von Aster. Wer sich für die aktuellen Trends der alternativen Modeszene interessiert, dem werden zwei Modeshows geboten. Für Tanzwütige, die selbst nach den Konzerten noch nicht genug haben, gibt es die Möglichkeit bis in die späten Morgenstunden in der Disco abzufeiern.
Konzerte am Samstag
Alexander Spreng, besser bekannt als ASP,gehört zu den populärsten Künstlern der Schwarzen Szene. Gewöhnlich prägen kräftige Beats, vereint mit rockigen Riffs, elektronischen Sounds und sein opernhaftes Stimmvolumen den typischen Sound seiner Band – diesen Nachmittag steht er jedoch mit seinem Akustikensemble Von Zaubererbrüdern auf der Bühne. Das tut aber seinen Songs keinen Abbruch. Hits wie „Krabat“, „Denn ich bin der Meister“ oder „Duett“ kommen gewohnt authentisch und voll Herzblut rüber. Dieselbe Leidenschaft spürt und sieht man beim Publikum, das voller Inbrunst mitsingt. Was jedoch verwundert, ist, dass trotz der Anwesenheit von Eric Fisch (Subway to Sally) der Song „Zaubererbruder“ von ASP alleine performt wurde. Schade!
Ein langerwarteter Act des Abends ist der bekannte Schockrocker Marilyn Manson. Für viele Anhänger der Szene war der gebürtige Amerikaner früher ein inspirierendes Vorbild, sowohl was die Musik, als auch den Kleidungsstil anbelangt. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen der Fans, aber sie werden bitter enttäuscht. Der mittlerweile 45-Jährige scheint nur noch ein Schatten der einstigen Ikone zu sein. Was dort auf der Bühne steht ist nicht Manson, sondern lediglich ein alter, dick gewordener Mann, ohne Leidenschaft für seine Musik und sein Lebenswerk. Der schlechte Sound der Vorstellung rundet das perfekt ab.
Doch das ist nicht die letzte Enttäuschung des Abends. Combichrist gehen ein erfolgloses Experiment mit dem eigenen Sound ein. Aus den Boxen dröhnt kein mitreißender Aggrotech mit saftigem Bass, sondern man fühlt sich eher auf ein Kuschelrock-Konzert versetzt. Der Großteil der Fans lässt sich davon allerdings nicht irritieren, sondern feiert und tanzt fleißig zu Songs wie „Get Your Body Beat“ oder „Blut Royal“. Diejenigen, die das nicht überzeugt, versammeln sich lieber vor der Hauptbühne, um den ersten Headliner zu empfangen.
Mit Spannung empfängt das Publikum die letzte Band des Abends – Within Temptation. Alle Sorgen über die vorherigen Gigs sind vergessen, denn hier stimmt einfach alles. Die Symphonic Metal Band gehört zu der Gattung Künstler, die es schaffen, live einen besseren Sound als auf Platte zu kredenzen – und der geht direkt unter die Haut. Man hat das lebendige Gefühl, inmitten einer orchestralen Urgewalt zu stehen. Die Stimme von Leadsängerin Sharon den Adel ist allgegenwärtig und glasklar. Voll Enthusiasmus feiert sie zusammen mit dem Publikum beliebte Songs wie „Mother Earth“, „Ice Queen“ oder „The Last Dance“. Letzteren präsentiert die Band in einem wunderbaren Duett aus Cello und Gesang. Beeindruckend, wie die gelernte Modedesignerin es dabei noch schafft, zwischen den Liedern ihre selbstdesignten Kostüme zu wechseln.
Konzerte am Sonntag
Um 15Uhr startet [x]-Rx im Konzerthangar. Man sagt den beiden Künstlern Cyrex und Sine-x zwar nach, mit ihrer Musik keinen Innovationspreis mehr zu gewinnen, aber das müssen sie auch nicht. Die Jungs machen Musik zum Feiern und zum Tanzen, nicht mehr und nicht weniger – und das können sie ausgezeichnet. Starke Rhythmen, die teilweise an Hardstyle erinnern, lassen kein Tanzbein unberührt. Was Combichrist am vorherigen Tage fehlte, machen [x]-Rx mit fettem Bass und einer soliden Show wieder wett.
Wer nicht gerne auf elektronische Beats abfeiert, der freut auf die heidnische Folklore-Band Faun. Die siebenköpfige Gruppe aus der Nähe von München überzeugt durch einen durchweg authentischen Sound, der von meditativen Klängen bis Schanklied alles bietet. Sackpfeife, Drehleier, Flöte und Didgeridoo, sind nur ein Bruchteil des akustischen Repertoires dieser vielseitigen Künstler. Das begeistert auch die Fans, die wie verzaubert im Regen tanzen.
Mit In Extremo betritt eine der letzten Bands des Festivals die Bühne. Die mittelalterlichen Deutschrocker sind ein wahres Urgestein der Szene und sie lieben furiose Auftritte . Fette Gitarrenriffs treffen auf prägnanten Dudelsacksound, begleitet durch eine starke Pyro-Show. Diese Musik macht gute Laune und zu wohlbekannten Liedern wie „Vollmond“ oder „Herr Manelig“ singt und springt das gesamte Publikum mit. Frontmann Michael Rhein weiß, wie er die Menschen packt und mitreißt. So muss eine gute Liveshow aussehen.
Noch länger als die Mittelalterrocker sind die vier Jungs von And One schon im Musikgeschäft und bestechen durch ihre Mischung aus rhythmischen EBM und Synthie Pop. Nahezu alle Festivalbesucher scheinen wegen des diesjährigen Headliners auf dem Konzertgelände zu sein. Selbst in den letzten Reihen sieht man tanzende und feiernde Fans. Besonderes Highlight ist die Präsentation mehrerer Songs des neuen Dreifach-Albums „Magnet“; mit dabei sind unter anderem „Unter meiner Uniform“, „An alle Krieger“ und „Everybody Lies at Night“. Aber auch auf Disco-Klassiker wie „Military Fashion Show“ muss das Publikum nicht verzichten. Schade nur, dass bereits um 22Uhr Feierabend ist und es zurück in die Zelte geht.
Fazit: Nächstes Jahr wieder!
Auch wenn der Gesamteindruck vom Festival überaus positiv ist, gibt es dennoch einige Minuspunkte für die Organisation. So ist die Parksituation die Hölle, 30 Minuten und länger brauchen manche Festivalbesucher für eine Tour vom Auto bis zum Campingplatz, und das nur, weil es zu wenige Zugänge zum Gelände gibt. Ebenfalls störend ist, dass die nächtliche Disco 5€ Eintritt kostet. Denn mal ehrlich: Wenn man für knapp 90€ eine Karte kauft, dann erwartet man auch freien Zugang zu allen Angeboten des Festivals und keine versteckten Nebenkosten. Was hingegen sehr positiv überrascht, sind die Sanitäranlagen. Warme Duschen und saubere normale Toiletten, und das alles völlig kostenlos? Sowas haben wir noch auf keinem Festival bisher erlebt!
Trotz kleinerer Kritikpunkte hat sich das zweitägige Festival in Hildesheim wirklich gelohnt. Die Vielzahl an Künstlern und die Genrevielfalt überzeugen uns, hinzu kommt das wirklich breitgefächerte Kulturprogramm.
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