Arne Jysch hat die kleinen Dinge im Blick. „Wenn man diese Haarlocke zu hoch über das eine Auge legt, dann sieht es nicht mehr nach den 20er Jahren aus“, sagt er, im Hintergrund auf Leinwand mehrere Zeichnungen einer welligen Damenfrisur. Der Zeichner hat den Kriminalroman „Der nasse Fisch“ aus der Feder des Kölner Schriftstellers Volker Kutscher als Graphic Novel adaptiert – als grafischen Roman also oder, etwas salopper gesagt, als Comicroman. Gemeinsam mit Urheber Kutscher präsentiert Jysch das Werk am Großen Griechenmarkt vor etwa 90 Zuschauerinnen und Zuschauern, die Veranstaltung ist ausverkauft. Tilman Strasser, Kommunikator des Literaturhauses, moderiert; Matthias Wieland liest mit Unterstützung des Zeichners vor.
Die anfangs erwähnte helle Locke gehört Charlotte Ritter, kurz genannt Charly. Sie ist Stenotypistin in der Berliner Mordkommission und für Gereon Rath ein Silberstreifen am Horizont. Der wortkarge Ermittler wurde aus Köln in die Hauptstadt der Weimarer Republik versetzt. Als er aus dem Zug steigt, bevor er Charly kennenlernt, schreiben wir das Jahr 1929. Es ist ein frostiger Tag im März.
Ort und Zeit nehmen schon in Kutschers Vorbild aus dem Jahr 2007 eine tragende Rolle ein. Ort und Zeit sind auch der Grund, warum sich der Roman so gut für eine zeichnerische Adaption eignet. In Schwarz und Weiß erzählt Jysch die Geschichte, die Krimi und Sittenporträt zugleich ist. Als Vorlage dienten ihm neben dem Buch, das mittlerweile in 48. Auflage erscheint, auch zahlreiche Fotografien und Illustrationen. Zu einem Zeitpunkt des Abends sehen die Gekommenen ein Foto, in Mäntel gekleidete Männer mit Hüten auf dem Haupt lesen in der Öffentlichkeit Zeitung. „Da sind wahnsinnig viele Informationen in so einem Bild, die ich dann für die visuelle Nutzung umsetzen kann“, erklärt Jysch.
Für Jysch ermittelt Rath zum ersten Mal. Kutscher hat bereits sechs Romane geschrieben, in denen der Kommissar zum Einsatz kommt. Der Autor gibt sich im Literaturhaus humorvoll, äußert sich zeitgleich fokussiert. „Ich war total beeindruckt, wie kompliziert es ist, ein Comic-Szenario zu schreiben“, sagt er. Kompakter könne man seinen Ermittler kaum beschreiben als in der neuen Fassung, in der er auf der einen Doppelseite dem böswilligen Russen Paroli bietet und nach wenigen Malen Umblättern schon mit der verführerischen Witwe anbändelt. „Ich brauche länger“, schmunzelt Kutscher, dessen Geschichte im Herbst auch als TV-Serie unter dem Titel „Babylon Berlin“ ausgestrahlt wird; Produzent ist kein geringerer als Tom Tykwer.
Zum Abend gehören zwei Leseblöcke. Hinter den Lesern Jysch und Wieland erscheinen auf der Leinwand Zeichnung für Zeichnung, stellenweise Sprechblase für Sprechblase. Dass das Ganze von einer Geräuschkulisse begleitet wird, verleiht den Blöcken mit zweidimensionalen Bildern und dreidimensionaler Geschichte auch akustisch drei Dimensionen. Wieland glänzt in diesem Teil. Er trillert, und das ist nicht bildlich gemeint, in die Signalpfeife, wenn Rath am Berliner Bahnhof ankommt. Er schüttet Wasser aus einer gläsernen Karaffe in sein Glas, während die Figuren ihren Tee zur Schmerzlinderung mit Rum anreichern.
Details sind es, die die Veranstaltung im Literaturhaus ausmachen. Das größte Detail ist dabei die Detailverliebtheit der ihrer Protagonisten.
Arne Jysch, Volker Kutscher: Der nasse Fisch | Carlsen | 216 S. | 17,99 €
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