Das Beethoven-Jahr 2020 pflegt sein permanentes Nachspiel. Gerade wurde die Uraufführung eines Kompositionsauftrages nachgeholt, die dem Lockdown zum Opfer fiel. Philipp Maintz hatte in den Konversationsheften des tauben Bonner Meisters geblättert und dabei so kryptische Formulierungen entdeckt wie „für einen Ausschweifer ist jeder Ort der gefährlichste“. Wie war wohl die Stimmung bei diesem Gespräch, fragte sich Komponist Maintz und zog für seine Vision „luzide und heiter“ ein Gemälde von Robert Rauschenberg zu Rate, ein Bild von der Launigkeit einer Unterhaltung mit Beethoven: „hell, licht, sommerlich – und ein bisschen verschmitzt lächelnd“.
Dieses kurze Stück bildet nur eine Facette im Programm des Aurora Orchestra, dieses britischen Ensembles des Dirigenten Nicholas Collon, das einen völlig erfrischend neuen Ansatz der Konzertgestaltung anstrebt. Köln durfte bereits eine Interpretation der „Pastoralen“ von Beethoven erleben, bei der das gesamte Orchester auswendig und – wenn möglich –im Stehen musizierte und bei jedem Satz die führenden Instrumente in exponierte Positionen verschob. Dazu gab es im abgedunkelten Raum eine Lichtinstallation, die in der „Szene am Bach“ ein Gewässer markierte – hier blühte schamlos die romantische Lustbarkeit, Naturempfinden very british.
Jetzt interpretiert das einzigartige Orchester die 9. Sinfonie von Dmitrij Schostakowitsch, auch ein Stück, das sich mit seinen ausführlichen Solostellen und herausgestellten Solisten bestens räumlich inszenieren lässt. Mit dem auswendig musizierenden Orchestermitglied reduziert sich die Flexibilität, erkrankte Kollegen kurzfristig auszuwechseln – sinfonische Partien ohne Noten sind kein Standard. Das verhält sich anders bei den großen Solopartien der Violin-Literatur.
Eigentlich sollte die urwüchsige Patricia Kopatchinskaja, die häufig stampfende Barfuß-Geigerin, Tschaikowskys Violinkonzert interpretieren. Valeriy Sokolov übernimmt jetzt diese anspruchsvolle Partie, ein „Geiger der Seele“, wie Bruno Monsaingeon 2006 sein filmisches Portrait über den damals erst zwanzigjährigen ukrainischen Künstler benannt hat. Valeriy streicht die Geige seit seinem fünften Lebensjahr, mit 11 debütierte er mit härtester Virtuosen-Literatur. Irgendwie wirkt die Wunderkind-Historie obligatorisch für die jüngeren Stars der Klassik-Szene.
Valeriy Sokolov, Aurora Orchestra, Nicholas Collon | So 12.6. | Kölner Philharmonie | 0221 280 280
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Weiblicher Beethoven
Emilie Mayers 5. Sinfonie im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/24
Ein Himmel voller Orgeln
Zwei Orgelfestivals in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 10/24
Nach François-Xavier Roth
Der Abgang des Kölner GMDs sorgt für Umbesetzungen – Klassik am Rhein 09/24
Barock und Filmmusik
Open-Air-Konzerte „Viva Italia!“ im Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 08/24
Exotische Musik
„Sounds of Nature“ und „Diálogos de amor“ beim Niederrhein Musikfestival 2024 – Klassik am Rhein 08/24
Akademische Bürgernähe
Michael Ostrzyga dirigiert „Elias“ in Bergheim und Köln – Klassik am Rhein 07/24
Pop-Hit trifft düstere Rarität
Semesterkonzert an der RUB – Klassik an der Ruhr 07/24
Bruckners „verfluchte“ Neunte
„Von Herzen – Letzte Werke“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 06/24
Mit Hochdruck bei der Arbeit
Die Orgelfeierstunden im Kölner Dom – Klassik am Rhein 06/24
Träume aus alten Zeiten
Zamus: Early Music Festival 2024 in Köln – Klassik am Rhein 05/24
Ungewünscht brandaktuell
Auftakt zum Klangvokal Festival Dortmund 2024 – Klassik an der Ruhr 05/24
Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24
Mit virtuoser Blockflötistin
33. Festival Alte Musik Knechtsteden in Dormagen und Köln – Klassik an der Ruhr 09/24
Wiederentdeckt
Werke von Amerikas erster schwarzer Klassikerin in Essen – Klassik an der Ruhr 04/24