Verwandlung heißt das Zauberwort, das bei den Tagen Alter Musik in Herne in diesem Jahr das Programm bestimmt. Verwandlungen von bestehendem musikalischem Material war zu Johann Sebastian Bachs Zeit eine notwendige Alltäglichkeit und gar nicht lustig, nur praktisch. Zugriff auf älteres Notenmaterial aus eigenen Beständen ermöglichte eine vertraglich vorgeschriebene Kantatenproduktion, bei der der emotionale Gehalt in Tönen auf die Probe gestellt wurde: aus Trauer- wurde mit frischem Text dann Festmusik. Eine moderne Art der musikalischen Wiederverwertung finden wir in Paraguay beim Recycled Orchestra of Cateura. Das Ensemble hat ein engagierter Musiker mit Jugendlichen gegründet, die ihre Instrumente aus Industrieabfällen selber bauen. In der Doku „Landfill harmonic“ klingt Bach auf Abflussrohr und Ölfass recht sonor. Das Wiener Gemüse-Orchester spielt lieber auf Möhrenflöten und Kürbis-Instrumenten Neue Musik, nach dem Konzert lassen sich Musiker und Publikum eine kräftige Gemüsesuppe schmecken.
In Herne geht es eher um Bezüge zwischen Bestehendem und Neuem, beides bleibt aus heutiger Sicht alt. So verwandelte Bach das Stück „Stabat Mater“ vom Kollegen Pergolesi in eine Psalmkantate für den protestantischen Gottesdienst. In seinen „Englischen Suiten“ überführt er internationale Tonsprache visionär in monumentale Dimensionen. Das Spezialensemble Capella del la Torre spielt in Herne Musik von Antonio de Cabezón, der Gesänge der griechischen Antike und populäre Volkslieder für kontrapunktische Kunststücke nutzte. In Mailand versah ein Dichter und Musiker Monteverdis weltliche Madrigalbücher mit neuen geistlichen Versen.
Wo gehobelt wird, da fallen Späne, auch bei der Erarbeitung einer Opernaufführung. In München arbeitete Wolfgang Amadeus Mozart 1781 an der Realisation seines „Idomeneo“, „radikal kürzend, konzentrierend und reduzierend im Dienst von Natürlichkeit, Dramatik und Wahrhaftigkeit“, wie der Künstlerische Leiter der Musiktage in Herne, Richard Lorber, verspricht. Mit dem Helsinki Baroque Orchestra rekonstruiert Aapo Häkkinen die erhaltene Aufführungspartitur des Münchner Orchesterchefs Christian Cannabich, die Änderungen und Striche als originale Eingriffe des Komponisten dokumentiert – mit einem erlesenen Solistenensemble, ein Highlight am Ende der Tage (17.11.).
Tage Alter Musik in Herne 2024 | 14. - 17.11. | Kulturzentrum Herne, Kreuzkirche, Flottmann-Hallen | 02323 16 28 39
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Friedenslieder zum Jahresende
„Silvesterkonzert – Bernstein & Gershwin“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/24
Originelle Qualität
„Weihnachten mit Daniel Hope“ in der Philharmonie Essen – Klassik an der Ruhr 12/24
Sinfonische Vollender
Gil Shaham in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 11/24
Weiblicher Beethoven
Emilie Mayers 5. Sinfonie im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/24
Ein Himmel voller Orgeln
Zwei Orgelfestivals in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 10/24
Mit virtuoser Blockflötistin
33. Festival Alte Musik Knechtsteden in Dormagen und Köln – Klassik an der Ruhr 09/24
Nach François-Xavier Roth
Der Abgang des Kölner GMDs sorgt für Umbesetzungen – Klassik am Rhein 09/24
Barock und Filmmusik
Open-Air-Konzerte „Viva Italia!“ im Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 08/24
Exotische Musik
„Sounds of Nature“ und „Diálogos de amor“ beim Niederrhein Musikfestival 2024 – Klassik am Rhein 08/24
Akademische Bürgernähe
Michael Ostrzyga dirigiert „Elias“ in Bergheim und Köln – Klassik am Rhein 07/24
Pop-Hit trifft düstere Rarität
Semesterkonzert an der RUB – Klassik an der Ruhr 07/24
Bruckners „verfluchte“ Neunte
„Von Herzen – Letzte Werke“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 06/24
Mit Hochdruck bei der Arbeit
Die Orgelfeierstunden im Kölner Dom – Klassik am Rhein 06/24