choices: Herr Dostal, warum schaut das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf das Ruhrgebiet?
Dr. Paul Dostal: Der DLR-Projektträger ist die Schnittstelle zwischen Politik und Forschung. Er wurde für das Forschungsprojekt „KLIMZUG“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, mit der Unterstützung von „Klimaanpassung in Regionen“ beauftragt. Eine dieser Regionen, die untersucht wurden, ist das Ruhrgebiet.
Regierungen reden vom 2-Grad-Klimaziel, hier soll es bis zum Ende des Jahrhunderts 3,5 Grad wärmer werden können.
Das liegt nicht nur am globalen Wandel, sondern auch daran, dass hochverdichtete und -versiegelte Räume selbst zum lokalen Klima beitragen. Oberflächenvergrößerung durch Gebäude, mit denen man alles vollbaut und die Gebäude-Materialien bewirken einen „Extra-Temperaturzuschlag“.
Thermografien zeigen, wie sich die Städte aufheizen. Zwischen Schalke und dem Mechtenberg liegen vier Kilometer Luftlinie, aber nachts sieben Grad Temperaturunterschied.
Wenn ich eine Freifläche habe, die schön begrünt ist, kühlt die in der Nacht sehr stark aus. Hochversiegelte Flächen halten die Wärme. In sehr warmen Sommernächten, wo die Menschen Abkühlung brauchen, kriegen sie die dort nicht. Dann wird die Nacht sehr unangenehm.
Gesund ist das nicht …
Hitzewellen oder der Jahrhundertsommer von 2003 haben zu vielen Hitzetoten geführt. Wenn die Temperatur fast 40 Grad erreicht und die Nächte selten unter 25 Grad sinken, ist das für alte Menschen kaum noch zu schaffen. Besonders die, die schon krank sind oder am Ende ihres Lebens, sterben dann früher. Man benutzt in der Fachwelt den etwas makabren Begriff vom „Harvest-Effekt“: Leute, die vermutlich im Laufe des Jahres sowieso gestorben wären, werden in solchen Hitzesommern „weggeerntet“ und sterben einfach durch die große Hitzebelastung.
Kann man für die Städte feststellen: zu wenig Wasser?
Schon richtig. „Dynaklim“ hat sich die Stadt-Böden angeschaut – auch da, wo sie Wiese sind. Und festgestellt, dass es total urban überprägte Böden sind. Sie enthalten Schutt und sonstwas, können das Wasser also gar nicht halten. An heißen Sommertagen haben solche trockenen Rasenflächen fast die gleichen thermischen Eigenschaften wie Asphalt. Wenn man es schafft, diese Böden zu reaktivieren, also den Schutt rausholt und normale Böden daraus macht, können sie die Feuchte länger halten und haben tatsächlich einen Kühlungseffekt.
Wäre es eine Abhilfe, wenn die Stadt morgens Wasserspreng-Fahrzeuge durch die City schicken würde?
In Südeuropa wird das so gemacht. Ich würde sagen: Das hat vielleicht eine halbe Stunde lang einen Effekt. Um dauerhaft eine Stadt abzukühlen, braucht man Reaktivierung der Böden, vernünftige Durchgrünung und muss Kaltluftschneisen ermöglichen. Also nicht alles versiegeln.
Das Absurde ist ja: Wir kriegen tendenziell heißere Sommer – und dafür unglaublich nasse Winter
Ja: heiße und trockene Sommer. Aber wenn es regnet, dann richtig. Auch das Landesumweltamt sagt, dass Starkniederschläge und Stürme mittlerweile ein wiederkehrendes Phänomen sind. Damit muss künftig häufiger gerechnet werden.
Blöderweise kann man das Zuviel-Wasser aus dem Winter kaum für den Sommer festhalten …
Wenn ich es schaffe, die Freiflächen in den Städten so aufzubereiten, dass sie ansatzweise natürlich sind, dann haben sie die Fähigkeit, Wasser zu speichern und im Frühsommer zur Verfügung zu stellen.
Es stellt sich natürlich die Finanzierungsfrage.
Ja. Die Städte würden solche Flächen viel lieber verkaufen und versiegeln, als sie als Parks zu pflegen. Aber der Wohlfahrtseffekt, den solche „Pocket-Parks“ haben, ist nicht zu unterschätzen. Im Endeffekt ist die Pflege von Grünflächen und Parks gar nicht so teuer.
Schauen wir in die Region: Haben Städte wie Köln und Wuppertal dieselben Probleme?
Die Kölner Bucht ist sehr warm und ein hochversiegelter Raum – wird also das gleiche Problem wie das Revier haben. Wuppertal liegt erst einmal höher, ist grüner und hat die Wupper drin: Die haben wieder andere Probleme, sind aber, was sommerliche Hitze angeht, im Vorteil gegenüber Köln.
Wuppertal muss weniger tun?
Die müssen alle was machen. Ich glaube, die Städte haben schon das Ziel, eine Stadtentwicklung anzustoßen, die die Lebensqualität insgesamt bereichert. Das kann man sehr gut mit Maßnahmen verbinden, die sowohl Klimaanpassung bedeuten als auch den Wohlfahrtseffekt erhöhen. Ein gutes Netzwerk schöner Parks bedeutet kurze Wege, um sich zu erholen, es hält die Luftqualität hoch, kühlt und speichert Wasser. Eine Win-Win-Situation.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Soziale Vision der Wärmewende
Konferenz in Bocklemünd – Spezial 10/23
Waffe Mensch
nö Theater in der Stadthalle Köln – Theater am Rhein 10/23
Klimarettung in der Domstadt
Die 2. Porzer Klimawoche – Spezial 09/23
Alle Hebel in Bewegung setzen
Arsch huh, Zäng ussenander und Fridays for Future beim Gamescom City Festival – Spezial 09/23
Klimaschutz made in Europe
Podiumsgespräch im Domforum – Spezial 04/23
Grimmige Entschlossenheit und Volksfeststimmung
Demo gegen die Räumung von Lützerath – Spezial 01/23
„Wir werden uns der Abbagerung in den Weg stellen“
Linda Kastrup über die geplanten Klima-Proteste in Lützerath – Spezial 01/23
„Das Fahrrad ist der Schlüssel“
Ute Symanski über Radkomm und den Talk mit Katja Diehl – Interview 03/22
„Natur in den urbanen Raum bringen’’
Sascha Rühlinger und Simon Nijmeijer über Tiny Forests – Interview 02/22
Drängende Forderungen
Kölner Klimastreik am 24. September – Spezial 10/21
Krisen im Doppelpack
Klima-Talk bei Urbane Künste Ruhr – Spezial 04/21
Die Krise macht kreativ
Globaler Klimastreik in Köln mit 2.500 Menschen – Spezial 03/21
Einzelfälle mit Struktur
„Ausgrenzung, Entrechtung, Widerstände“ im Friedensbildungswerk – Spezial 11/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Eine Historie des Rassismus
Der Kölner Rom e.V. unterstützt Sinti und Roma – Spezial 07/24
Zeitlose Seelenstifter
„Kulturretter:innen“ im NS-Dok – Spezial 06/24
Die Stimme des Volkes?
Vortrag „Was Populisten wollen“ in Köln – Spezial 06/24
Gezielt helfen
Ingrid Hilmes von der Kölner Kämpgen-Stiftung – Spezial 05/24
Zwangloses Genießen?
Vortrag „Die post-ödipale Gesellschaft“ im Raum für Alle – Spezial 04/24
Stabiler Zusammenhalt
„Der Streitfall“ in der Stadtbibliothek – Spezial 03/24
Der Traum von Demokratie
#Streitkultur mit Michel Friedman am Urania Theater – Spezial 02/24
Narrative der Armut
Christopher Smith Ochoa in der VHS – Spezial 11/23
„Gedenken ist kein rückwärtsgerichtetes Tun“
Seit rund einem Jahr leitet Henning Borggräfe das NS-Dok – Interview 10/23