Seit die römischen Stadtgründer hier die Saturnalien, ausschweifende Feste zu Ehren ihrer Götter Saturn und Dionysos einführten, wurde in Köln schon immer in der einen oder anderen Form Karneval gefeiert. Seine heute bekannte, traditionelle Ausprägung mit Dreigestirn, Rosenmontagszug und den verschiedenen Karnevalsgesellschaften hat ihren Ursprung jedoch im 19. Jahrhundert, genauer im Jahr 1823. Damals befand sich die Stadt unter der Herrschaft der Preußen, denen, anders als ihren französischen Vorgängern, die zügellosen Feiern zur Winteraustreibung ein Dorn im Auge waren. Als Reaktion auf die Versuche, das Brauchtum zu unterdrücken, entstanden die Korps-Gesellschaften, die den militaristischen Prunk der preußischen Besatzer aufs Korn nahmen. Die bunten Uniformen der roten, blauen und sonstigen Funken stellten eine Verballhornung der aufwändigen preußischen Uniformen dar – dieser gegen die Obrigkeit gerichtete Spott und ein Geist des Widerstandes waren wichtiger Bestandteil in der Frühzeit des Kölner Karnevals.
Dieser Aspekt ist in den vergangenen fast zwei Jahrhunderten jedoch verloren gegangen. Der konventionelle Kölner Karneval hat für viele Beobachter alles Anarchische eingebüßt – stattdessen prägen bräsiger Humor, Bierzeltatmosphäre und sentimentale Beschwörungen des Heimat-„Jeföhls“ die Sitzungen der alteingesessenen Karnevalsgesellschaften. Dieser Meinung ist auch Winni Rau. „Da sieht man alte Männer mit vollem Ernst diese lächerlichen Uniformen tragen, als wäre es das Größte“, meint er kopfschüttelnd. „Anfang der 1980er war der Karneval wirklich nicht mehr auszuhalten, bestand nur noch aus Herrenwitzen bis zum Abwinken“, erinnert er sich. „Damals hieß es einfach nur, raus aus der Stadt – am Strand in Holland hat man mehr Kölner getroffen als in der Stadt selbst. Das war die Situation, in der wir damals die Stunksitzung gegründet haben.“
Rau gehörte zu einer Gruppe von Studenten, die den Karneval dem Establishment entreißen und wieder mit satirischen und politischen Inhalten füllen wollten. 1984 fand die erste Stunksitzung statt – und ist bis heute in jedem Jahr ausverkauft. „Daran kann man sehen, dass es ein großes Bedürfnis gibt, einen intelligenten, politischen Karneval zu feiern“, sagt Rau. Tatsächlich haben sich seit den 1980er im Gefolge der Stunksitzung zahlreiche weitere Veranstaltungen etablieren können, die heute gemeinsam den alternativen Karneval bilden.
Dem Anspruch ihrer Anfangszeit sind die Stunker treu geblieben. Nach wie vor bekommen nicht nur der offizielle Karneval, sondern auch Lokal- und Weltpolitik und nicht zuletzt die Kirchen ihr Fett weg. Regelmäßig ecken sie mit ihrem beißenden Humor auch bei den Verspotteten an. „Gerade die katholische Kirche versteht da wenig Spaß“, weiß Rau aus Erfahrung. 1993 etwa gab es Ärger, weil in einem Sketch ein Kruzifix mit der Aufschrift „Tünnes“ anstelle des „INRI“ gezeigt wurde. Nach einer Strafanzeige erhielten die Stunker Besuch von der Polizei, die das Requisit beschlagnahmte. Auch 2006 zog ein Sketch ein juristisches Nachspiel nach sich, wieder stand die katholische Kirche im Mittelpunkt: Im Jahr des Weltjugendtages hatten die Stunker den Kölner Kardinal Joachim Meisner und Papst Benedikt XVI als schwules Pärchen „Ratze und Meise“ in ein gemeinsames Bett gelegt. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren wurde jedoch bereits im März 2006 wieder eingestellt. „Zu einer Verurteilung ist es bisher noch nie gekommen, das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“, betont Rau.
Auch dem WDR, der die Stunksitzung überträgt, sind manche Nummern zu heikel, so dass die Austrahlung bereits so manches Mal zensiert wurde – etwa 1992, als der damalige Sitzungspräsident Jürgen Becker Kardinal Meisner als „Arschloch“ bezeichnete. Rau sieht dies jedoch eher differenziert. „Man kann das System Rundfunk kritisieren und auch, dass die Kirche soviel Macht darin hat“, sagt er „aber die Redakteure beim WDR gehen oft an die Grenzen dessen, was sie sich erlauben können und begründen uns gegenüber auch ihre Entscheidung – solange ich das Gefühl habe, dass sie nicht leichtfertig und beliebig Dinge herausschneiden, kann ich da nichts gegen sagen.“
Auch persönlich sind die Stunker durchaus bereit, Risiken in Kauf zu nehmen. „2015 hatten wir einen Sketch mit ein paar Burkaträgerinnen im Programm, die ein dreckiges Lied sangen – ein paar Tage später erfolgte der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Da fragt man sich schon, darf man das noch?“ Man dürfe jedoch auch vor solchen Reaktionen nicht zurück weichen, findet Rau. „Genau das muss Satire leisten können.“
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