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Benedikt Porzelt
Foto: privat

„Satire muss am Puls der Zeit sein“

25. Januar 2018

Medienwissenschaftler Benedikt Porzelt über Satire als politische Kritik – Thema 02/18 Ausgeliefert

choices: Herr Porzelt, Politiker werden von Satirikern auf die Schippe genommen. Ist das der Preis der Berühmtheit?
Benedikt Porzelt: Dass es sich um eine Person des öffentlichen Lebens handelt, ist eine Voraussetzung für Satire. Die Zuhörer müssen sie kennen, um die Scherze zu verstehen. Sie kennen nicht die Details einer Steuerreform, aber den Politiker. Die Entwicklung geht dahin, dass bei Politikern die Persönlichkeit eine immer größere Rolle spielt. Sie müssen sympathisch und authentisch sein. Umgekehrt begreifen Politiker Satire als Chance. Hier können sie sich schlagfertig und selbstironisch zeigen. Der Schuss kann allerdings auch noch hinten losgehen.

Wie verhalten sich Kunst- und Meinungfreiheit zum Persönlichkeitsrecht?
Die Frage ist, was man als Satire definiert. Sonst könnte jeder Leute beleidigen. Satire soll der öffentlichen Meinungsbildung dienen. Zentrales Kriterium ist, auf was es sich bezieht. Der Rest ist Beiwerk. Nicht alles ist Satire. Das ist von Fall zu Fall zu entscheiden.

Über Jan Böhmermanns Erdoğan-Gedicht urteilte die Staatsanwaltschaft Mainz, Satire sei keine Beleidigung, sofern die Überzeichnung menschlicher Schwächen keine ernsthafte Herabwürdigung der Person enthalte. Der Kölner Anwalt Ralf Höcker sagte, die Menschenwürde stehe über Kunst- und Meinungsfreiheit. Was nun?
Der Streit um das Böhmermann-Gedicht zeigt, dass man den Einzelfall prüfen muss. Man muss unterscheiden, wo es sich um eine Geschmacksfrage handelt. Sonst fällt man ein Pauschalurteil. Zensur ist problematisch, denn dann könnte man alles verbieten. Man kann Kunst nicht klar definieren.

Kurt Tucholsky stellte 1919 fest, Satire müsse „ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht“ sein, um ihre Aufgabe zu erfüllen, einen kritischen Blick auf die Gesellschaft zu werfen. Ist diese Ungerechtigkeit ethisch vertretbar?
Bei Satire geht es darum, Missstände aufzudecken und den Status Quo zu kritisieren. Ein Problem wird überspitzt. Bei einer ausgewogenen Darstellung würde die Fokussierung verwässert. Das Wesen der Satire ist die Kritik, die zur Meinungsbildung beitragen kann. Satire kann einem Thema stärkere mediale Aufmerksamkeit verschaffen. Die Kunst besteht darin, dass die Überspitzung unterhaltsam sein soll.

In der Weimarer Republik kritisierte Satire Missstände in Demokratie, Wirtschaft und Gesellschaft. Je mehr Krise, desto schärfer die Satire?
Je größer die Probleme, desto deutlicher muss Satire sie aufgreifen. Es geht darum, an Stellschrauben zu drehen, damit die politische Situation besser wird. Das Böhmermann-Gedicht, das Tabugrenzen ausgereizt hat, wäre vor 40 Jahren undenkbar gewesen. Satire muss am Puls der Zeit sein. Dass das für Satiriker auch viel Arbeit bedeutet, können wir am Beispiel Trump sehen.

In der NS-Zeit wurden Satiriker verhaftet und ermordet. Bedeutet Satire auch Lebensgefahr?
Satiriker haben das Risiko, auf Menschen zu treffen, die ihre Meinung nicht teilen. Das Attentat auf Charlie Hebdo hat gezeigt, dass es eine Bedrohung für Leib und Leben sein kann. Satire ist heute für Fanatiker jeder Couleur wieder relevant. Auch der Streit um die Mohammed-Karikaturen hat gezeigt, dass Meinungsäußerung in anderen Kulturkreisen zur Lebensbedrohung wird. Es gibt Länder, in denen Gottesbeleidigung zum Todesurteil führt. In muslimischen Ländern sagen erfolgreiche YouTube-Satiriker, dass sie manche Themen nicht aufgreifen können. In Deutschland kann man zum Glück alles sagen.

Im Dritten Reich wurde Satire bzw. „deutscher Humor“ von NS-Seite genutzt, um das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe zu fördern. Wird Satire politisch instrumentalisiert?
Die Frage setzt eine Begrifflichkeit bzw. Definition von Satire voraus. Damals wurde Komik instrumentalisiert, nicht Satire. Komik hat einen ambivalenten Kern. Sie kann ausgrenzende, aber auch gemeinschaftsstiftende Funktion haben. Über Satire gibt es in Frankreich ab 1700 erste Berichte. Damals haben Politiker Scherze eingesetzt, um den Gegner zu diffamieren. Dagegen konnte man nichts machen.

Warum nehmen Satireformate zu? Aufgrund eines erhöhten politischen Interesses oder als seichte Unterhaltung für eine unkritische Masse?
Beides ist wichtig. Die Öffentlich-Rechtlichen sollen informieren, aber nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mit der „heute-Show“ oder „Die Anstalt“ werden politische Themen aufgegriffen und ein jüngeres Zielpublikum erreicht. Die Zuschauerzahlen sind gut. Wichtig ist, die Info unterhaltsam zu präsentieren, so dass es einen Lustgewinn bringt. Der zentrale Unterschied zur Nachricht ist, das Thema pointiert zuzuspitzen. Das ist das Können des Satirikers: Information so zu bringen, dass der Zuseher einen Mehrwert hat.

Ein Einwand ist, Satire sei bloß ein Ventil, um gesellschaftlichen Frust abzubauen. Sie bestätige die Vorurteile unzufriedener Bürger.
Dazu gibt es unterschiedliche Studien, die verschiedene Sendungen vergleichen. Die Frage ist, was eine Sendung bewirken kann. Es ist besser, sich den Frust von der Seele zu lachen, als sich in Hasstiraden zu ergehen. Es gibt Sendungen, die wertvolle Informationen geben und nicht nur billige Lacher wollen. Manche erzeugen auch Betroffenheit. Etwa ein Flüchtlingschor, der einen Twist über Heimat präsentiert. Der Rückblick auf einen NS-Überfall auf ein griechisches Dorf bezieht Stellung. Es ist eine Gratwanderung, wann Satire den Humor verlässt.

In den USA ist die Satire-Sendung „The Daily Show“ bei jungen Erwachsenen zur Quelle politischer Nachrichten avanciert. Hat der klassische Journalismus versagt?
Die Zuschauer der „Daily Show“ sind politisch interessiert und schauen eher Nachrichten. In den USA herrscht ein eigenes Nachrichtensystem. Bei Fox News wird schwarz-weiß gemalt. Das nimmt die Satire aufs Korn, beispielsweise „Last Week Tonight with John Oliver“. Es besteht ein Zusammenspiel von Journalismus und Satire. Diese greift Themen auf, die zuvor durch Berichte und Fakten belegt wurden. Satire kann keine Recherche leisten. Sie greift Themen auf, die nach journalistischen Prinzipien aufbereitet wurden. Diese Qualität ist in Deutschland noch nicht erreicht.

Was kann Satire angesichts Donald Trumps leisten, der zuweilen selbst wie eine Karikatur wirkt?
Das Prinzip Trump rückt in Richtung Satire. Er arbeitet mit Überspitzungen und einfachen Lösungen, ist immun gegen Satire. Das, was er gestern gesagt hat, leugnet er morgen. Es ist nur konsequent, dass er in den Medien ein Feindbild sieht und ihnen die Legitimation abspricht. Die Trump-Wählerschaft kann durch Satire nicht erreicht werden. Sie glaubt, dass Lügen verbreitet werden. Allerdings ist der Großteil der US-Bevölkerung nicht so verblendet.


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Interview: Katja Sindemann

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