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Marco Teubner
Foto: Marco Teubner

„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“

31. Oktober 2024

Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens

choices: Herr Teubner, gibt es gesellschaftliche Einflüsse, die prägend für Inhalte und Rezeption von Spielen sind? Spiegeln sich darin aktuelle Entwicklungen wider?

Marco Teubner: Ja, man durchaus sagen, dass sich bei Spielen auch gesellschaftliche Entwicklungen oder Aktualitäten zeigen. Es gibt Trends, die gesetzt sind, und auch die Art und Weise, wie gespielt wird, verändert sich natürlich. Wir haben zum Beispiel ganz klar so ein Phänomen, dass diese ganze Genderdiskussion oder die Debatten über Black Lives Matters, MeToo und die Politisierung von Persönlichkeitsrechten, dass man das in den Spielen auch wiederfindet. Wir haben auch gemerkt, dass in den Spielen ganz häufig versucht wurde, diesen Themen auszuweichen. Und plötzlich wurden Naturthemen ganz stark.

„Plötzlich wurden Naturthemen ganz stark“

Sie sind selbst Vater. Warum sind Spiele für Kinder wichtig? 

Spiel ist für die Entwicklung an sich wichtig. Ich würde das gar nicht mal nur auf Kinder beschränken. Natürlich ist die Hauptspielphase in der Kindheit. Aber selbst im Erwachsenendasein, glaube ich, ist das Spiel ganz wichtig. Und Spielen ist, so meine ich, eine Aktivität, die die Natur ganz gezielt setzt. Das ist so eine Art Probehandeln oder ein Sich-Ausleben und erproben können, ohne dass die Fehler wehtun. Ich muss keine Konsequenzen fürchten, wenn ich im Spiel etwas tue, was ich in der normalen Welt oder im normalen Alltag nicht machen würde. 

Bei einem Klassiker wie „Mensch ärgere dich nicht“ kann man aber auch lernen, mit Frustration umzugehen? 

Ja, klar. Genau diese Interaktionen zwischen Menschen, das ist all das, was im Spiel geübt oder gelernt wird. Wobei ich nicht sagen würde, dass das Spiel dafür verantwortlich ist, sondern immer der Mitspieler. Man kann „Mensch ärgere dich nicht“ spielen und kann das Verlieren lernen. Aber man kann auch „Mensch ärgere dich nicht spielen“ und das Verlieren nicht lernen. Dann kommt es eben immer auf das Gegenüber drauf an und wie wir in der sozialen Interaktion, im Spiel miteinander umgehen. Und das ist eigentlich das Wichtige und das Wertvolle am Spiel, dass wir ja nicht alleine spielen, sondern dass wir immer ein Gegenüber haben.

„Konflikte in Spielen werden zunehmend gemieden“

Manchmal spielen Menschen, weil sie als Familie oder Freunde beisammen sind, miteinander Zeit verbringen wollen, sich aber nicht wirklich etwas zu sagen haben. Hat die Industrie das schon bedacht: Gibt es beispielsweise Spiele, bei denen es einen Lerneffekt für die Krawall-Teenager gibt, oder die trotzköpfigen Dreijährigen?

Es ist durchaus so, dass wir so einen Trend bei den Brettspielen haben – ich nenne das immer multisolitär – dass wir zwar miteinander spielen, aber im Spiel unseren eigenen Bereich haben. Jeder Spieler schafft für sich seine eigene Welt, es gibt nur einen ganz kleinen Grad an Interaktion. Ich glaube, dass wir darin genau wiedersehen, dass wir in einer Gesellschaft sind, in der wir gerne was miteinander machen. Aber wir wollen dann doch nicht so viel Konfrontation haben. Das ist übrigens ein Trend, dass wir harmonische Spiele haben wollen. Also Konflikte in Spielen werden zunehmend gemieden.

Sie haben in einem Interview gesagt, der Ukraine-Krieg habe sich auf das Spielverhalten der Menschen ausgewirkt. Ist es so, dass wir im Spiel Ablenkung von Gefühlen der Angst und Ohmacht finden und zugleich einen Ort, an wir das Gefühl haben, handlungsfähig zu sein?

Genau, auf der einen Seite geht es darum, dass wir handlungsfähig bleiben. Spiel ist so eine Art Probehandeln. Und wir suchen im Spiel diesen Zustand der Sicherheit, den wir eigentlich von Kindheit her kennen.

„Eine relativ kurze Aufmerksamkeitsspanne für den eigenen Spielzug“

Es gibt ja das Phänomen der „Tiktokisierung“. Durch schnelle, kurze Videos hat sich unsere Aufmerksamkeitsspanne verkürzt. Bemerkt man das auch an aktuellen Spielen?

Das wirkt sich auf jeden Fall auf Brettspiele aus. Ich sehe das zum Beispiel darin, dass jetzt die einzelnen Spielzüge immer kompakter, immer kürzer werden. Das heißt, die Wartezeit der Mitspieler muss immer kürzer werden. Man merkt bei den Kindern auch, dass da wirklich eine relativ kurze Aufmerksamkeitsspanne für den eigenen Spielzug ist. Das Spiel passt sich dem an.

Sie waren gerade auf der Spielemesse in Essen. Was sind denn die aktuellen Trends?

Thematisch wird jetzt vieles im Tierreich angesiedelt, und die Tiere bekommen menschliche Züge, man spricht da von Anthropomorphismus. Die Tiere des Waldes sind wie eine menschliche Gesellschaft, sie bauen ihre Stadt auf. Das hätte man genauso gut auch mit Menschen machen können, aber da versucht man, dem aus dem Weg zu gehen. Stark im Fokus sind außerdem der Klimawandel und Naturschutz.

Interview: Daniela Prüter

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