choices: Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) hat versäumt, fristgerecht Regularien für einen möglichen Tiefseebergbau zu erarbeiten. Was bedeutet das?
Pedro Martinez Arbizu: Wenn ein Konzern beantragt, Tiefseebergbau zu betreiben, muss die Meeresbodenbehörde innerhalb von zwei Jahren klare Regularien für diesen Abbau erarbeiten. Da das bis jetzt nicht passiert ist, könnte das bedeuten, dass diese Firma ohne Regularien anfangen kann abzubauen und das wäre natürlich ganz schlimm.
„Schwämme, Korallen oder Seesterne werden zerstört“
Das Interesse gilt u.a. Manganknollen, metallhaltigen Zusammenballungen auf Meeresböden in drei bis sechs Kilometern Tiefe. Wie würde ihr Abbau für Flora und Fauna bedeuten?
Es gibt unterschiedliche Konzepte, wie man sie ernten konnte könnte. Die Knollen liegen auf der Meeresbodenoberfläche in etwa 5.000 Meter Tiefe, wie Kartoffeln oder Blumenkohl auf einem Acker. Es wurden geeignete Maschinen gebaut, die die Knollen mit einem starken Wasserstrahl anheben und dann einsaugen und an die Oberfläche gebracht werden. Da unten, in diesem Sediment leben viele Tiere wie zum Beispiel Schwämme, Korallen oder Seesterne, die werden natürlich von dieser Maschine zerstört. Tiefseekraken heften ihre Eier an Stängel von abgestorbenen Schwämmen, die an Manganknollen wachsen und brüten sie dort. Ohne die Knollen würde ihnen der Laichplatz fehlen. Es gibt noch viele andere Organismen, die auf dem Knollen wachsen, weil sie ein hartes Substrat brauchen und sich nicht im Sediment verankern können.
Anfang August gab es die Meldung, dass Manganknollen wohl auch Sauerstoff produzieren. Wie sie das tun, ist allerdings unklar.
Der Sauerstoff auf unserer Erde ist ja ein Abbauprodukt, beziehungsweise ein Restprodukt von der Photosynthese. Man ging also davon aus, dass der Sauerstoff vor allem im Meer durch die Algen, Bakterien und andere Organismen die Photosynthese betreiben, produziert wurde. Dass es aber auch so genannten dunklen Sauerstoff gibt, hatte niemand geahnt. In den nächsten Monaten wird es dazu jetzt verstärkt Forschungen geben und sicher wird man versuchen, das im Labor nachzuvollziehen.
„Dass es dunklen Sauerstoff gibt, hatte niemand geahnt“
Was erschwert es, den Meeresboden in mehreren Kilometern Tiefe zu erforschen?
Das Wasser ist das Problem. Wir sehen nicht, was unten ist. Es ist auch zu tief, um hinunter zu tauchen, da werden dann Tauchroboter oder Boote benutzt. Man kann zwar unten Fotos machen, aber das sind immer nur ganz kleine punktuelle Beobachtungen. Selbst, wenn man mit sehr viel Licht und guten Kameras nach unten geht, sieht man nur in einem Radius von wenigen zehn bis zwanzig Metern. Man ist darauf angewiesen, Modelle zu machen und zu schlussfolgern, wie es unten aussieht. Es ist noch so viel zu erkunden. Das Meer bedeckt zwei Drittel der Erdoberfläche und 90 Prozent davon ist Tiefsee, also sehr tiefe Gewässer. Nur ein kleiner Teil des Meeres ist in Küstennähe und flach. Am meisten wissen wir wohl über diese Gebiete, in denen Manganknollen wachsen. Das liegt an den wirtschaftlichen Interessen, die – quasi als positiven Nebeneffekt – auch die Forschung vorantreiben.
„Allein in den Manganknollenfeldern sind über 80 Prozent der Arten völlig neu“
Sie haben sich gegen den Tiefseebergbau ausgesprochen. Denken Sie, wir forschen zu wenig nach alternativen Technologien, die ohne jene Bodenschätze auskommen?
Ich denke schon, dass die Entwicklung der Menschheit in die Richtung geht – zumindest jetzt durch die regenerativen Energien und die Energiewende – dass wir mehr und mehr Metalle brauchen werden. Es läuft alles Richtung Elektrifizierung und in Richtung alternative Energiequellen statt fossiler Energieträger wie Gas und Öl. Das ist natürlich sehr gut, weil eines der Probleme der Erde ist, dass wir zu viel Kohlendioxid in der Atmosphäre haben, dass sich die Erde erwärmt. Aber das hat natürlich Nebenwirkungen und eine davon ist, dass wir durch diese Technologien sehr viele Metalle brauchen. Ich denke, dass irgendwann auch diese Metalle aus der Tiefsee notwendig für die Weiterentwicklung sein werden. Aber ich glaube, dass wir die jetzt noch nicht brauchen. Und es wäre sinnvoll, dass wir dass das Thema global betrachten und uns diese Rohstoffe für später aufbewahren oder für zukünftige Generationen.
Warum sind Sie Meeresforscher geworden?
Ich bin in Spanien geboren, am Meer in Valencia und habe mich schon immer für die Tiere dort interessiert. Im Studium hat mich dann als Biologe diese enorme Artenvielfalt begeistert. Allein in den Manganknollenfeldern sind über 80 Prozent der Arten, die wir dort finden, völlig neu. Wir wissen nicht, welche Funktionen sie haben, wie sie leben und was sie fürs Überleben brauchen. Da ist noch viel zu erforschen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Ausgefischt
Intro – Meeresruh
Friede den Ozeanen
Teil 1: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Was keiner haben will
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Kölner Unternehmen Plastic Fischer entsorgt Plastik aus Flüssen
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 2: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 2: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
Korallensterben hautnah
Teil 2: Lokale Initiativen – Meeresschutz im Tierpark und Fossilium Bochum
Stimmen des Untergangs
Teil 3: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 3: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
Wasser für Generationen
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Wupperverband vernetzt Maßnahmen und Akteure für den Hochwasserschutz
Exorzismus der Geisternetze
Bekämpfung von illegaler und undokumentierter Fischerei – Europa-Vorbild: Italien
Sinnenbaden im Meer
Ode an das Meer – Glosse
„Ein Überbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten“
Teil 1: Interview – Migrationsforscherin Leonie Jantzer über Migration, Flucht und die EU-Asylreform
„Die Kategorie Migrationshintergrund hat Macht“
Teil 2: Interview – Migrationsforscher Simon Moses Schleimer über gesellschaftliche Integration in der Schule
„Es braucht Kümmerer-Strukturen auf kommunaler Ebene“
Teil 3: Interview – Soziologe Michael Sauer über Migration und Arbeitsmarktpolitik
„Früher war Einkaufen ein sozialer Anlass“
Teil 1: Interview – Wirtschaftspsychologe Christian Fichter über Konsum und Nostalgie
„Nostalgie verschafft uns eine Atempause“
Teil 2: Interview – Medienpsychologe Tim Wulf über Nostalgie und Politik
„Erinnerung ist anfällig für Verzerrungen“
Teil 3: Interview – Psychologe Lars Schwabe über unseren Blick auf Vergangenheit und Gegenwart
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 1: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 2: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 2: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz