Georg Philipp Telemann, Komponist der Tafelmusiken und notorischer Vielschreiber, der „aus verschiedener Völker ihrem Geschmacke in der Musik, mit gehöriger Beurtheilung, das Beste zu wählen weis“, wie Flötist und Gelehrter Quantz ihm attestierte, gedieh in seinen Tagen zum beliebtesten und meist umworbenen Komponisten. Er mischte aus französischer, italienischer und polnischer Musik einen Personalstil, dem die Gesellschaft nicht widerstehen konnte. Als sich der Geschmack änderte, bemerkte ein Musikgelehrter mitleidig: „Telemann kann entsetzlich bummelig schreiben, ohne Kraft und Saft, ohne Erfindung; er dudelt ein Stück wie das andere herunter.“
Heute und schon seit Jahrzehnten gilt Telemanns „Deutscher Mix“ als Geheimtipp und Wiederentdeckung unter den alten Tonsetzern, will heißen: Musik ist auch nicht viel beständiger als die Cordhose – gestern out, heute wieder da. Dass der Musikmarkt sich seit Jahrhunderten ähnlich der Modeszene wie ein Schilfhalm in jedwede Richtung wiegen lässt und manchmal aus beliebigem Geschmack auch ein Stil entstehen kann, der die künstlerische Eigenart ganzer Nationen prägt, analysieren jetzt die Tage Alter Musik in Herne unter dem Titel „Mode und Stil“.
Als Spezialfestival der Alten Musik ruft der hier federführende WDR natürlich Namen der Musikgeschichte auf, die niemals zuvor die Ohren einfach interessierter Zaungäste erreicht haben dürften. In Herne treffen sich deshalb auch handverlesene Spezialensembles, die für extrem interessante und originelle Programme auf höchstem interpretatorischem Niveau stehen. Aufgetischt werden Renaissance-Tipps „alla mantovana“ von einer hochbegabten Mäzenin, einer sehr frühen Influencerin. Oder ein Nachmittag „à la francaise“, auch mit Musik von Telemann, dann ein Abend mit Haydn und Mozart vom Kammerorchester Basel, einer renommierten Adresse für Alte Musik. In der Kreuzkirche gastiert das „Huelgas Ensemble“ mit Melodien aus vier Jahrhunderten – und im Kulturzentrum der Stadt werden zwei komplette Opernproduktionen zu erleben sein, natürlich mit angesagten Spezialisten wie Max Emanuel Cencic für die anspruchsvollen Gesangspartien, dem Klangfarbenrausch alter Originalinstrumente und der absoluten Gewissheit des Reizes unberührter Neuentdeckungen. Dafür steht Herne.
Tage Alter Musik | 9. - 12.11. | div. Orte in Herne | 02323 16 28 15
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