Der Mann mit dem merkwürdig geformten Koffer schlendert durch den vertrauten Hausflur zur Tür. Ein letztes Mal fällt sie ins Schloss – der Film ist aus. Diese naheliegende bis triviale Schluss-Sequenz im Film „Last Visits“, einer Dokumentation über das letzte Lebensjahr des 2009 verstorbenen Jazzmusikers Charlie Mariano, symbolisiert eigentlich genau das, was der Film nun auch erreichen kann: Die Geschichte dieser italo-amerikanischen Jazzlegende endete nicht mit seinem Tod.
Produzent und Regisseur Axel Engstfeld hat die letzte aktive Zeit des in Köln lebenden Künstlers bebildert. Neben dem Altosax-Kollegen Lee Konitz, der auch seit Jahrzehnten in Köln und New York lebt, war Mariano der prominenteste Vertreter weißer amerikanischer Jazzer, die in Europa und auch gern in Deutschland ein besseres finanzielles Auskommen dem harten Kampf um die kleinen Kulturtöpfe in den Staaten vorzog. Für Generationen von deutschen Musikern wurde Mariano, der bei jahrelangen Aufenthalten in Indien die dortige, spirituell und musikalisch fruchtbare Kultur schätzen gelernt hatte, zu einem inspirierenden Mentor. Regisseur Engstfeld greift sich geschickt zwei Musiker aus dem abgebildeten Umfeld heraus, die zwei Generationen vertreten: Der Keyboarder und Produzent Mike Herting war über Jahrzehnte ein flexibler Sideman für Mariano, er hat die europäische Karriere des Saxophonisten begleitet und darf als echter Kenner des Jazzstars Mariano gelten. Matthias Schriefl ist ein momentan sehr angesagter Youngster an der Trompete, der mit seiner urig süddeutschen Nettigkeit schnell Sympathien gewinnen kann und auch dem 60 Jahre älteren Saxophonisten Charlie alle Verehrung und Sorge entgegenbrachte. Diese beiden Musiker plaudern über die Magie ihres liebevoll gepflegten Kollegen, dessen Sanftmut und Gradlinigkeit sich sehr wirkungsvoll in den ganz einfachen Interview-Situationen daheim im Wohnzimmer ausdrücken: Mariano erzählt nur wahre und private Geschichte, so etwa über seine Heroen Charlie Parker und Dizzy Gillespie, die er später als Gaststars in der Big Band von Thad Jones traf und dann mit ihnen musizieren durfte. Es ist die uneitle, bescheidene Aufrichtigkeit dieses alten Mannes, dessen Augen in manchen Momenten des Films noch funkeln können, in die sich der Zuschauer zu Recht verlieben darf.
Warum dieser Film beinahe fünf Jahre bis zu seiner Taufe brauchte, bleibt Engstfelds Geheimnis. Warum der Film Bilder benötigte, die Mariano zeigen, der in Unterhosen zur Routineuntersuchung seiner Krebserkrankung in die Röhre einfährt, mit Gegenschuss aus der Röhre, bleibt Regiegeheimnis. Vielleicht waren zu wenige Bilder an den an zwei Händen abzählbaren Besuchen hängen geblieben. Die interessantesten Geschichten erzählt der Saxophonist eh durch sein Horn.
Grandios ist besonders der Konzertmitschnitt zum 85. Geburtstag Marianos im Theaterhaus in Stuttgart: Da sagen die Improvisationen von Philip Catherine und Jasper van’t Hoff über eine Komposition Marianos mehr aus, als jede kenntnisreiche Laudatio leisten könnte. Charlie Mariano ist der Protagonist in diesem Film – seine Musik ist die Heldin.
Kinostart: 13.2.2014
Charlie Mariano – Last Visits
D 2013, 100 Min., Regie: Axel Engstfeld
www.charliemariano.de
Zusätzliche Termine:
Köln, Filmpalette: Sa 1.2. 19 Uhr
Münster, Cinema: So 2.2. 11 Uhr
Dortmund, sweetSixteen: So 9.2. 19 Uhr
Düsseldorf, Metropol: Do 13.2. 19 Uhr, Sa 15.2. 15 Uhr, So 16.2. 15 Uhr
Mülheim, Rio: Di 11.2. 20 Uhr
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