Von Hans-Christoph Zimmermann Gefeiert wird eigentlich schon seit Juni. Damals lud das Forum Freies Theater (FFT) in Düsseldorf unter dem Titel „Wir sehen uns morgen wieder“ zum Nachspielen des Fernsehprogramms vom Juni 1954, und alle guten Freunde kamen: Ingo Thoben, Hofmann&Lindholm, andcompany&Co. oder unitedOFFproductions. So viel Überraschungsei war nie. Zehn Jahre FFT – das zeigt zunächst, dass NRW die Ent-wicklung von Produktionszentren der freien Szene verschlafen hat, die zum Beispiel in Hamburg mit der Kampnagelfabrik bereits in den 1980ern gelang. In Düsseldorf zwang deshalb Niels Ewerbeck als erster Leiter das FFT seit 1999 zum Nachsitzen in Sachen Koproduktionsnetzwerk oder Ästhetik der freien Szene. Das gelang, auch wenn zunächst Kabarettprogramme als Gehhilfen dienten. Unter Nachfolgerin Kathrin Tiedemann wurde der Kurs deutlich politischer. „Theater muss sich für den Diskurs interessieren, wie sich Öffentlichkeit und wie sich die Spielregeln der Politik verändern“, sagt die FFT-Leiterin im Gespräch.
Bis heute sucht das Haus immer wieder die Schnittstellen zwischen Theater, Gesellschaft und Politik auf, lotet Protestformen auf ihre Bühnentauglichkeit aus und vermittelt zwischen Diskurs und Theater. So wird die Gruppe unitedOFFproductions mit „Offenbarung 2.0“ demnächst den zweiten Teil ihrer Reihe „Megastadt-Großstadt- Tote Stadt“ zeigen, die sich mit Lebensentwürfen von Menschen zwischen Arbeitslosigkeit, Selbstbestimmung und sozialen Sicherungssystemen beschäftigt. Das FFT gilt aber auch als Trüffelschwein der freien Szene, das sich der Förderung und Vorstellung junger Gruppen widmet wie beim alljährlichen „Freischwimmer“-Festival im kommenden Januar. „Diese Art von Aufbauarbeit, das ist unsere Stärke“, so Kathrin Tiedemann. Dass das auch im Lokalen gilt, zeigt die Entdeckung der Performerin Gudrun Lange oder die aktuelle Zusammenarbeit mit Regisseur Ingo Thoben und Düsseldorfer Jugendlichen.
Das Hineinwirken in die Stadt hat allerdings seine Grenzen. Kathrin Tiedemann spricht von etwa 20.000 „Kernbe-suchern“ pro Jahr, was bei zwei Spielstätten bescheiden klingt und dies in einer Stadt mit einer renommierten Kunstakademie und einer reichen Museumslandschaft. Ein weiteres Problem liegt in der schlechten Infrastruktur des FFT mit den getrennt liegenden Spielstätten „Kammerspiele“ und „Juta“, die weder in der Größe (220 bzw. 120 Plätze) noch in der Anlage als Guckkastenbühnen die gewinnbringende Präsentation größerer Produktionen oder Gastspiele erlauben. Zudem wildert das Düsseldorfer Schauspielhaus mit seinem multifunktionalen Produktionszentrum „Central“ im Revier des FFT, wenn es Gruppen wie „Monster Truck“ zeigt oder als Spielort des „Impulse“- Festivals fungiert. Kathrin Tiedemann, deren Vertrag Ende dieser Spielzeit ausläuft, will sich davon allerdings nicht entmutigen lassen. Und ihre Pläne für die weitere Profilierung des FFT als Produktionsstandort sowie Projekte an der Schnittstelle zwischen Musik und Per-formance klingen fast schon wie ein Zukunftsprogramm.
Ingo Thoben: „Unter der Haut“ I 13.-19.12. unitedOFFproductions: „Offenbarung 2.0“ I 14./16.1. Festival „Freischwimmer“ I 19.-24.1. Infos: www.forum-freies-theater.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23
Analoge Zukunft?
Die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund eröffnet ihren Neubau – Theater in NRW 10/23
Tausch zwischen Wien und Köln
Kay Voges wird Intendant des Kölner Schauspiels – Theater in NRW 09/23
Folgerichtiger Schritt
Urban Arts am Theater Oberhausen – Theater in NRW 08/23
Neue Allianzen
Bühnen suchen ihr Publikum – Theater in NRW 07/23
Interims-Intendant für den Neuanfang
Rafael Sanchez leitet ab 2024 das Schauspiel Köln – Theater in NRW 06/23
And the winner is …
Auswahl der Mülheimer Theatertage – Theater in NRW 04/23
Knappheit und Kalkulation
Besucher:innenzahlen am Theater steigen – Theater in NRW 03/23
Gegen Ausbeutung und Machtmissbrauch
Klassenkämpferischer Wind weht durch die Theater – Theater in NRW 02/23
Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23
Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22
Bessere Konditionen
EU stärkt Solo-Selbstständige im Theater – Theater in NRW 11/22
Internationale Vernetzung
Olaf Kröck verlängert Vertrag bei den Ruhrfestspielen – Theater in NRW 10/22