Dieter Hildebrandt hat nichts von dem verloren, was seine komische Kunst und Wirkung ausmacht – und von etwaiger Altersmilde war bei der Vorstellung des mittlerweile 84-jährigen im ausverkauften Bonner Pantheon nichts zu spüren. Vergessen und Vergeben gehören ohnehin nicht ins Kabarett, auch wenn Hildebrandt in „Ich kann doch auch nichts dafür“, seinem ersten wirklichen Bühnensolo, gelegentlich mit der im Alter zunehmenden Vergesslichkeit kokettierte. Seinen Auftritt bestritt er konsequenterweise mithilfe einer Lose-Blatt-Sammlung und überwiegend am Lesetisch sitzend. Was nichts an seiner nach wie vor enormen Bühnenpräsenz ändert. Im Kabarett gilt analog zum Fußball: Wichtig is aufm Platz, sprich live auf der Bühne. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen und zeigt sich die wahre Könnerschaft eines Meisters der komischen Kunst. Und hier zeigt sich auch, wie wenig Substanz die immer wieder angestimmten Abgesänge auf die Kleinkunst haben (zu deren Begründung dann häufig Fernsehsendungen wie der bestenfalls mittellustige „Satiregipfel“ herhalten müssen).
Hildebrandts Thema Nummer eins bleibt natürlich weiterhin die Politik. Die hat in der letzten Zeit so reichhaltigen Stoff geliefert, dass das kabarettistische Fachpersonal mit der Abarbeitung kaum nachkommt. Entsprechend weit war der Bogen, den Dieter Hildebrandt schlug: vom „Knicks“ der Kanzlerin vor Chinas Mächtigen über Strauss-Kahns „außerparlamentarisches Organ“ bis zum „Sexualcatering bei Gipfeltreffen“ mit „Fruchtzwerg“ Berlusconi. Die EHEC-Epidemie interpretierte er überzeugend als Rache der Natur: „Die Bakterien schlagen zurück, die haben uns ausgespäht.“ Beim Umgang mit der Seuche werde offensichtlich zweierlei Maß angelegt: „Hühner werden ja sofort gekeult.“
Missbrauch der Sprache
Zur Katastrophe von Fukushima zitierte Hildebrandt genüsslich den offiziell verbreiteten Sprachmüll der Bundesregierung im Originalton: Danach gab es im Bundeskabinett „die Bereitschaft, sich beeindrucken zu lassen“. Kein Wunder, dass sich aus dem Nachnamen des Regierungssprechers inzwischen das Verb „seibern“ abgeleitet habe. An den Äußerungen der Kanzlerin selbst ließ Hildebrandt ebenfalls kein gutes Haar und bot eine schlüssige Erklärung an: „Wer immer ihre Reden schreibt – er liebt sie nicht.“ Als Expertin für schwer verdaulichen Polit-Sprech hat er auch Arbeitsministerin von der Leyen ausgemacht. Die spreche gerne von der „Denke“, die sich verändern müsse, um die Bedeutung der musischen Frühförderung zu verdeutlichen. Hildebrandt nahm die Vorlage zur überflüssigen Substantivierung gerne auf und fragte, wer sich denn um „die Zahle für die Klimpere“ kümmere. Da ist es nur folgerichtig, ein „Phrasen-Flensburg“ zu fordern: „Wer 18 Punkte hat, muss eine Woche schweigen.“
Glücksindustrie und grundloses Lachen
Noch stärker wird Hildebrandt, wenn er sein angestammtes politisches Terrain verlässt und den alltäglichen Flachsinn erkundet. So warnte er vor den Verheißungen einer „Glücksindustrie“ Marke Heidi Klum: Dabei handele es sich wohl um „betreutes Denken“. Womit wir beim Thema „Alter“ wären und den in Hildebrandts Altersschicht verbreiteten Gruppenübungen und -gesprächen. Dabei gelte es vor allem, „das Thema Inkontinenz zu umschiffen“ – am besten in einer Lach-Gruppe, unter Anleitung eines „Lachgruppenführers“. Dem Lach-Yoga, so Hildebrandt, widme der Bayerische Rundfunk eigens eine Sendung, wo „Lachlaien“ das „grundlose Lachen“ mittels spezieller Übungen beigebracht werde. An Handbüchern dazu herrscht kein Mangel; aus einem davon las er zum Ergötzen der Zuschauer ein paar völlig ernstgemeinte Ratschläge vor. Eine Hildebrandtsche Reform des Fernsehprogramms für die immer größer werdende Gruppe der Alten sähe im Übrigen ganz anders aus, da gäbe es Formate und Titel wie „Deutschland sucht den Grauen Star“ oder „Ein Platz an der Sonde“.
Doch wenigstens gibt es im Fernsehen reichlich Gelegenheit, Sportfloskeln aufzuschnappen und die Vorlagen zu verwandeln. So etwa Bundestrainer Löws Aussage über seine Spieler vor dem letztjährigen WM-Halbfinale: „Sie können alles am Ball.“ Trockener Kommentar des Kabarettisten (angesichts von knapp zwei Drittel Ballbesitz der Spanier): „Das hat keinen Sinn, wenn sie ihn nicht haben.“
Reimspaß zum Finale
Nach einem zu Recht mit Ovationen bedachten Auftritt drehte Hildebrandt im Zugabenteil dann noch einmal richtig auf. Bewaffnet mit einem ausklappbaren Gehstock als Rhythmusinstrument gab er einen Rap zum Besten – und wie es sich beim Rappen gehört, disste der alte Herr die jungen Leute tüchtig. In einer Strophe waren Jungs mit Schlabberhosen dran, in der nächsten Mädchen mit Piercings: „Doch es kommt aufs Gleiche raus / Ihr seht beide scheiße aus“. Den Abschluss machte ein kurzer Jahreszeiten-Gedichtezyklus aus seiner niederschlesischen Heimat – ungefähr genauso „besinnlich“ wie die Rap-Einlage zuvor.
Am 1. September wird Dieter Hildebrandt im Kölner Gloria zu Gast sein. Sofern er bis dahin keinen Anfall von Altersmilde erleidet, was als eher unwahrscheinlich zu gelten hat, können Sie sich auf was gefasst machen.
P.S. Am Titel von Dieter Hildebrandts Kabarett-Programm ist übrigens in erster Linie die Deutsche Bahn schuld. Nachdem er sich eine Zugfahrkarte für eine Fahrt über Güstrow nach Teterow („liegt bei Schweden“) gekauft hatte, musste er am Bahnhof in Güstrow feststellen, dass nach Teterow kein Zug weiter fährt, weil’s dort keinen Bahnhof mehr gibt. Dann sagte der Bahnangestellte vor Ort jenen Satz, der offenbar inzwischen zur Standardentschuldigung für alle Lebenslagen avanciert ist: „Ich kann doch auch nichts dafür!“
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