Montag, 25. Januar: Gar nicht mehr wegzudenken aus dem Kinokalender des Filmlandes Nordrhein-Westfalen ist das in diesem Jahr zum 18. Mal stattfindende Dokumentarfilmfestival Stranger Than Fiction, veranstaltet von der Kino Gesellschaft Köln. Die Reihe findet längst nicht mehr ausschließlich in Köln statt, sondern hat sich, in individuell angepassten Varianten, mittlerweile auf acht Städte in NRW ausgedehnt. Der Regionalbezug ist auch bei den Filmen selbst gegeben, denn außer etlichen internationalen Beiträgen (von der Schweiz und Österreich über Italien und Frankreich bis in die USA, Kanada und nach Israel) hat sich auch der Fokus auf Filme aus NRW in den vergangenen Jahren „richtig gut ausgebaut“, so Veranstalter Dirk Steinkühler. Voller Stolz wies auch Moderatorin Sonja Hofmann am Montagabend in der Filmpalette darauf hin, dass die beiden zur Projektion gelangenden mittellangen Filme von Absolventen der Kunsthochschule für Medien Köln Weltpremieren seien. Undine Siepker, die mit dem 29-minütigen „Heute trag’ ich grün“ ihren Postgraduiertenabschlussfilm der KHM zeigte, war einige Jahre zuvor mit „Ali sein Garten“ bereits im Stranger Than Fiction-Festival vertreten gewesen.
In ihrem neuen Film beschäftigt sich Siepker mit der weltweit am häufigsten vorkommenden Papageienart, den Halsbandsittichen, die man seit Jahren schon in Massen über der Kölner Innenstadt fliegen sieht. Die zugereiste Filmemacherin aus Dresden, die sich zunächst in Köln nicht so recht heimisch fühlte, erkannte die Symbolik der Papageien für ihr eigenes Leben und begann mit den Recherchen über die grünen Exoten. „Wenn die das geschafft haben, hier heimisch zu werden, gelingt mir das auch“, erzählte die Regisseurin und betonte, dass sie die erste Begegnung mit den Vögeln im Park wie eine Halluzination empfunden hätte. Bei ihren Parkbesuchen stieß Siepker bald auch auf andere Freunde der Sittiche und machte die Bekanntschaft mit Hobby-Ornithologe Claus Walter. Der war zur Premiere des Films ebenfalls anwesend und erläuterte, dass die Sittiche sich jeden Abend eine halbe Stunde vor Einbruch der Dunkelheit an einem Schlafplatz am Bürgerhaus Stollwerck sammelten. Ornithologen zählen dann die aus den unterschiedlichsten Richtungen Kölns einfliegenden Vogeltrupps und haben festgestellt, dass nach einer Hochphase von rund 1800 Tieren die Population mittlerweile wieder auf rund 1000 Vögel geschrumpft ist, was Walter auf das Fällen einiger alter Pappeln im Rheinpark und zwei aufeinander folgende Kältewinter zurückführt.
Auch der zweite Film des Abends, Stefan Eisenburgers 61-minütiger „Entscheidend is am Beckenrand“, hat autobiografische Züge. Der Filmemacher porträtiert darin drei Masters-Schwimmer des SG Essen, einem Schwimmverein, bei dem er selbst ein Jahr lang Mitglied war. Während der Fußballweltmeisterschaft 2014 machte sich Eisenburger daran, den bodenständigen Charme einiger in die Jahre gekommener Athleten mit der Kamera einzufangen. „Das Quatschen unter der Dusche hat mir in meiner Zeit im Verein immer am meisten Spaß gemacht“, so der Regisseur. Das merkt man seinem Film auch an, denn die privaten Gespräche der Schwimmer nehmen hier einen deutlich höheren Stellenwert ein, als die sportlichen Erfolge der Protagonisten. Das habe diese nach den ersten privaten Filmvorführungen ein wenig überrascht. Eisenburger hatte bei seinen Drehs im Hallenbad Kameras mit Saugnäpfen unter Wasser im Becken installiert, die er laufen ließ und erst am Ende des Trainingstages wieder herausholte. Auch über Wasser wurde munter drauflos gefilmt, weswegen sich der Regisseur am Ende durch einen Wust an Filmmaterial arbeiten musste. Drei Monate dauerte die Sichtung, um die witzigsten und filmtauglichsten Bilder für sein Projekt zu finden. Obwohl Eisenburger stolz sei auf die Weltpremiere in Köln, freue er sich nun umso mehr auf die Erstaufführung seines Films in Essen in Anwesenheit sämtlicher Protagonisten und ihrer Familien, die ebenfalls im Rahmen von Stranger Than Fiction am 30. Januar im Filmstudio Glückauf stattfindet.
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