Donnerstag, 6. Oktober: Mit dem Hamlet-Zitat „Denn an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu“ stimmt die Berlinerin Aslı Özge auf die Thematik ihres ersten in Deutschland gedrehten Kinofilms ein. Das psychologische Kleinstadt-Drama „Auf einmal“ debütierte mit drei Aufführungen im Panorama Special der Berlinale und erhielt auf dem Istanbul Film Festival bereits den Internationalen FIPRESCI-Preis der Filmkritik, bevor er nun in deutschen Kinos anläuft. Zur Premiere im Saal 2 des Cinenova erschienen zwar nicht alle der geladenen Branchengäste, dafür aber reguläres Publikum und Aslı Özge („Men on the Bridge“, „Lifelong“) mit einem Teil ihres Filmteams und den Schauspielern Sebastian Hülk („Oktober November“), Julia Jentsch (derzeit auch in „24 Wochen“ und „Die Habenichtse“), Simon Eckert und Hanns Zischler (der mit dem frühen Wenders-Film „Im Lauf der Zeit“ bekannt wurde). Dass sie sich aber gewiss nicht aus Schüchternheit entschieden, sich vor dem Publikum zwar vorzustellen, aber keine einführenden Bemerkungen abzugeben, erwies sich bald als berechtigt.
Der Film beginnt mit einer Party, die sich dem Ende zuneigt – nur noch Anna und Gastgeber Karsten (Hülk) sind da. Kurz darauf ist Anna tot. Was passiert ist, beschäftigt nicht nur die Polizei, sondern auch Karstens Freundin (Jentsch), die Familie, den Freundeskreis und die Arbeitskollegen. Nach und nach gerät Karstens Leben aus den Fugen. Es erwartete die Zuschauer ein in seiner hochspannenden Dramaturgie gegen Vorwegnahmen empfindliches Drama, das sich nicht gern in die Karten blicken lässt. Der Film lässt sich genausowenig wie „Hamlet“ festlegen auf Genres wie den Krimi. Ohnehin geht es bei aller Spannung, die auch die stark geforderten Schauspieler in Kammerspiel-artigen Szenen großartig aufrecht erhalten, um Themen wie Freiheit und Verhaltensnormen, Macht und Vorurteil, die nicht nur die anhand von Kleinstadt-Verhältnissen eingefangene deutsche Mittelstandsgesellschaft berühren. Aslı Özges Film hat es in sich und bietet viel Gesprächsstoff.
Über den Stoff sagte „Asli“ gegenüber choices: „Ich hatte in der Zeitung in Istanbul einen Artikel gelesen über eine Frau, die gestorben ist, und das spielte eine große Rolle in den Medien. Sie war verheiratet und hatte ein Kind. Alle wollten wissen, was passiert war, warum sie einen One-Night-Stand mit einem Mann hatte, denn sie war sehr berühmt.“ – Um später herauszufinden, wo in Deutschland der von ihr auch co-produzierte Film stattfinden könne, habe sie einen Soziologieprofessor an der Humboldt-Universität gefragt und sei auf das Sauerland verwiesen worden.
Kameramann Emre Erkmen („Babamin Sesi – Die Stimme meines Vaters“), der nach seinem Kamera-Studium an der Berliner DFFB bereits oft mit Aslı gearbeitet hat und wie sie in der Türkei recht bekannt ist, sprach mit uns über den bewusst herbstlichen, achtwöchigen Dreh im nordrhein-westfälischen Altena, das von Bergen umgeben ist. „Diesen Ort zu finden, war eine Herausforderung, das hat ein bisschen gedauert. Wir brauchten für den Film und den Charakter Karsten eine gewisse Melancholie und Klaustrophobie – dass man einfach aus der Kleinstadt und den bürgerlich-familiären Verhältnissen nicht rausgehen kann. Man kann dort die Ferne nicht sehen, und jeder weiß einfach alles vom anderen. Wir haben die Leute nach Orten gefragt und sehr viele Locations gescoutet und irgendwann Altena gefunden.“ Dort sei noch nie ein Spielfilm gedreht worden: „Niemand kannte das.“ Es sei aber alles gut gelaufen, und die Hoffnung, dass es dort im Oktober und November viel regnen würde, habe sich auch erfüllt.
Für Sebastian Hülk, der den Film selbst bei der Berlinale das erste Mal gesehen hatte und z.B. von der Wahl der Musik durchaus überrascht war, bestand die Herausforderung darin, die Entwicklung seiner Figur darzustellen, „verschiedene Punkte zu erwischen – wo bemerkt er zum Beispiel, dass in seinem Umfeld und Freundeskreis nicht mehr alles so ist wie vorher, oder der Punkt, wenn er versucht zu fliehen, über die Berge zu entkommen, wo er dann von seinem besten Freund zurückgeholt wird.“ Im ganzen Film habe man darauf achten müssen, „wie viel man erzählt, wie viel man preisgibt oder zurückhält, wie viel man bewusst nicht spielt“. Ob das einem Schauspieler nicht gegen den Strich ginge? „Sicherlich. Man muss sich da jedes Mal wieder zurückziehen, aber es ist dann auch wieder die Arbeit von Aslı – ein guter Regisseur ist immer der Spiegel für den Schauspieler, dass er weiß, wie es wirkt, wie es herüberkommt, und da war die Arbeit fantastisch mit ihr.“
Der Film ist in Köln keineswegs an einer Endstation. Erkmen erklärt uns, dass nach der Premiere in Istanbul in der nächsten Woche auch die Festivaltour wieder starte, mit Stationen wie London und Washington.
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