Die Perlhühner aus Freilandhaltung und der Karpfen aus biologischer Aufzucht sind verzehrt; die weihnachtliche Mast hat zwar hie und da zu kleinen Bauchkumuli geführt, jedoch nur vorübergehend natürlich. Nun ist es Zeit, wieder in den konsumkritischen Diskurs einzustimmen. Zum Beispiel beim Gastspiel des Projekts „Cargo Sofia“ von Stefan Kaegi, einem Mitstreiter der Gruppe Rimini Protokoll. Die Zuschauer sitzen auf der verglasten Laderampe eines LKW und lernen neben den ausschweifenden Erzählungen bulgarischer Fahrer das Easy Truckin’ des Warenverkehrs auf Autobahnraststätten, Verladerampen und Häfen kennen. (Kölner Schauspiel, 15.-25.1.). Der restliche Teil von Rimini Protokoll ist derzeit in Düsseldorf am Werk. In ihrem neuen Projekt widmen sie sich der Wirklichkeitsvermittlung von Nachrichtensendungen. „Breaking News“ stellt Nachrichten zum selben Ereignis aus verschiedenen Ländern nebeneinander. Hörer, Kommentatoren, Vermittler wiederum sind Menschen unterschiedlicher politischer Interessen. Was bleibt am Ende von der angeblichen Objektivität, von Wahrheitstreue und journalistischer Sorgfalt? (Düsseldorfer Schauspielhaus, ab 18.1.).
Dokumentarstücke oder die Arbeit mit Laien sind an den vielen Theatern inzwischen selbstverständlich. Das Bonner Schauspiel war da bisher eher zurückhaltend. Doch jetzt hat man sich in einem Stück mit der Generation Praktikum beschäftigt, und im Januar folgt ein Jugend-Projekt mit Inhaftierten der JVA Siegburg unter dem Titel „Abstiegskampf - die zweite Halbzeit“. Jörg Menke-Peitzmeyers Stück zeigt das Geschehen auf der Ersatzbank eines vom Abstieg bedrohten Bundesligavereins. Dort tummeln sich Menschen aus unterschiedlichen Ländern, die alle auf ihre Art mit dem drohenden Niedergang zu Recht zu kommen versuchen (Schauspiel Bonn, ab 24.1.).
Beim „Kerngeschäft“ der Stadttheater tobt sich nach Weihnachten vor allem das Repertoire aus: In Essen steht Bert Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ (ab 19.1.) auf dem Spielplan, in Oberhausen „Der Besuch der alten Dame“; Köln legt mit Molières „Menschenfeind“ (ab 25.1.) nach. Und in Bochum nimmt sich Intendant Elmar Goerden Schillers „Maria Stuart“ (ebenfalls ab 19.1.) zur Brust; das Schauspielhaus bietet im Januar jedoch auch eine kleine Brit- DramOffensive: Simon Stephens sehr spannendes Stück „Motortown“ (ab 13.1.) über einen jungen Soldaten, der aus dem Irakkrieg nach London zurückkehrt und allmählich zur tickenden Zeitbombe wird, weil sich niemand für seine Geschichte interessiert. Gespiegelt wird dieser Plot in Mark Ravenhills „Das Produkt“ (ab 10.1.), ein Dialog zwischen einem Filmproduzenten und einer Schauspielerin über ein 9/11-Filmskript, das absurder und entlarvender kaum sein könnte.
Zu den spannendsten und widersprüchlichsten jungen Theaterregisseuren der letzten Jahre gehört wahrscheinlich Laurent Chétouane. In Köln erarbeitet der Intensitäts- und Textfanatiker jetzt mit seinem Leib- und Magendarsteller Fabian Hinrichs den Monolog „Ich bin Hamlet“ (ab 26.1.), der das Ergebnis einer eineinhalbjährigen Beschäftigung mit der Figur Hamlet als Spieler und als Rolle ist. Direkt im Anschluss beginnt Laurent Chétouane dann mit den Proben zu Hölderlins „Der Tod des Empedokles“, das im Februar herauskommt.
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