Dienstag, 26. November: Die Schaulustigen werden unruhig, als die Autos mit den Darstellern endlich vor dem Cineplex-Filmpalast anhalten. Am roten Teppich stehen sich die Journalisten die Beine in den Bauch, in der Menge haben viele ihr Smartphone gezückt. Die Weltpremiere von „Auerhaus“, der Adaption von Bøv Bjergs Bestseller, ist für den Cast quasi ein Heimspiel. Von den vier Hauptdarstellern kommen sowohl „Fack Ju Göhte“-Star Max von der Groeben als auch Damian Hardung, bekannt aus „Club der roten Bänder“, aus Köln. Nicht wenige sind extra wegen ihnen da. Dementsprechend laut wird es, als beide neben ihren Schauspielerkolleginnen Luna Wedler und Devrim Lingnau den roten Teppich betreten. Natürlich sind auch Regisseurin Neele Leana Vollmar und Kameramann Frank Lamm gekommen und stellen sich mit den posierenden Schauspielern dem Blitzlichtgewitter – ein Hauch von Hollywood in Köln: „Es ist so schön, dass die Premiere in meiner Heimatstadt ist“, zeigt sich Damian Hardung schon vor Filmstart begeistert. „Nach Club der roten Bänder schon meine zweite dieses Jahr in Köln.“
Hardung spielt im Film den Hauptcharakter Höppner, aus dessen Sicht die „Auerhaus“-Geschichte erzählt wird. Darin gründen vier junge Freunde unter den skeptischen Blicken der Nachbarschaft eine Schüler-WG, nicht nur, um dem tristen Dorfalltag zu entfliehen, sondern auch, damit Frieder (Max von der Groeben) nach einem Selbstmordversuch aus der Geschlossenen kommt. Allerdings ist der sich auch nach dem Einzug nicht sicher, ob er überhaupt leben möchte. „Die Rolle von Frieder hat mich von Beginn an fasziniert“, erklärt uns von der Groeben. „Diese Ambivalenz zwischen Trauer, übertriebenen Glücksgefühlen und seinen ernsthaften Passagen war anspruchsvoll, hat aber auch unglaublich viel Spaß gemacht.“ Schon im Vorfeld habe er sich intensiv mit dem Thema Depression beschäftigt.
Auch Vera (Luna Wedler) und Cäcilia (Devrim Lingnau) wollen ihre Probleme durch den Einzug ins Auerhaus lösen. Während Vera einfach frei sein möchte und sich nicht sicher ist, mit Höppner wirklich glücklich zu sein, flieht Cäcilia vor ihren übervorsorglichen Eltern. „Ich konnte mich gut in die Lage von Cäcilia hineinversetzen“, erzählt Devrim Lingnau. „Irgendwann trägt man etwas von der Figur in sich, weil man sie ja auch irgendwie glaubwürdig rüberbringen muss. Deshalb verstehe ich sie. Trotzdem würde ich einige Dinge anders machen.“
Im Saal werden die Zuschauer von Regisseurin Neele Leana Vollmar begrüßt. Nach „Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo!“ hat die Bremerin in diesem Jahr nun schon ihre zweite Buchadaption auf die Leinwand gebracht. „Die Auerhaus-Verfilmung bedeutet mir wahnsinnig viel“, sagt sie. „Schon während der Dreharbeiten habe ich viel gelacht und war gleichzeitig so oft zu Tränen gerührt. Ich hoffe, Ihnen geht es nun genauso.“
Der Film beeindruckt dann vor allem mit seinen starken Bildern. Während die Außenaufnahmen das ländliche Dorfleben über lange Kamerafahrten darlegen, gelingt es Frank Lamm vor allem während der Szenen im Elternhaus Höppners und im Auerhaus selbst die Aura der frühen 80er Jahre einzufangen. „Die Szenen, wo wir alle zusammen am Küchentisch sitzen, sind super schön geworden“, freut sich auch Luna Wedler. „Aber das gilt für alle Bilder. Frank Lamm ist einfach der Wahnsinn.“
Vollmar hat tatsächlich nicht zu viel versprochen. Das Publikum lacht viel, vor allem in den Szenen, in denen Frieder seinen Emotionen freien Lauf lässt, etwa bei der Musterung Höppners, in die er hineinplatzt, oder als er bei einer Auerhaus-Party zu viele seiner Medikamente schluckt und den gesamten Abend mit einer Holzfälleraxt in den Armen tanzt. „Das war mein Lieblingsmoment während der Dreharbeiten“, verrät Vollmar nach Filmende. „Nach dem Party-Drehtag haben wir einfach die Musik laufen lassen und das gesamte Team hat weitergefeiert.“
Die Regisseurin hat mit „Auerhaus“ ein weiteres Mal ihre erzählerischen Qualitäten bewiesen. Der Plot ist dem im Buch sehr nah und folgt den Figuren aus kurzer Distanz. Das Gesamtergebnis ist aber natürlich eine Teamleistung. Und deshalb ist nun auch der Jubel groß, als nach und nach die Mitwirkenden auf die Bühne gerufen werden.
„Es geht im Film nicht darum, jemandem einzureden, am Leben zu bleiben“, fasst Damian Hardung seine Eindrücke zusammen. „Es geht eher darum, zu akzeptieren, dass das Leben nur dann lebenswert ist, wenn man sich nicht nur dazu verpflichtet fühlt, sondern es auch genießt. Auch Höppner lernt erst durch Frieder, wirklich zu sich zu stehen. Im Film sagt er: ‚Hop oder top, so bin ich nicht.‘ Und am Ende des Films hat er durch Frieder gelernt: Doch, ich kann hop sein.“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24
Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24
Rechtsextreme Terroranschläge
„Einzeltäter Teil 3: Hanau“ im Filmhaus – Foyer 02/24
„Monika musste sterben, weil sie nicht auf den Bus warten wollte“
Auf der Suche nach Gerechtigkeit beim dfi-Symposium – Foyer 01/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
„Paradigmenwechsel im Mensch-Natur-Verhältnis“
Mirjam Leuze zum LaDOC-Werkstattgespräch mit Kamerafrau Magda Kowalcyk („Cow“) – Foyer 03/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24