Mittwoch, 22. November: Vor der Aula an der KHM wartet schon eine kleine Menschentraube, als die Tür aufgeschlossen wird. Die Mischung aus Studierenden der Kunsthochschule und Alumni wollen Tini Tüllmanns Debütfilm „Freddy/Eddy“ sehen. Im Rahmen der Reihe „Heimspiel“ werden an der Hochschule die Filme von Absolventen gezeigt. Um kurz nach 19 Uhr stellt Frank Döhmann, seines Zeichen Prorektor und Professor für kreatives Produzieren an der KHM, die Filmemacherin vor. Tüllmann empfiehlt, dass man auch beim Abspann sitzen bleiben solle. „Dieser dauert zwar länger, aber dafür sind wirklich alle Beteiligten dort genannt, da alle auf Rückstellung gearbeitet haben.“
95 Minuten dauert der Psychothriller über Freddy, dessen imaginärer Freund aus Kindertagen, Eddy, plötzlich wieder da ist und sein Leben damit aus den Fugen gerät. Gebannt verfolgt das Publikum das Geschehen und begrüßt im Anschluss unter langem Applaus erneut die Filmemacherin und den Professor. Tüllmann lässt es sich dann nicht nehmen, nochmal allen Leuten zu danken, die bei dem Film geholfen haben. Da durch den fehlenden Verleih ohne Förderung gearbeitet werden musste, haben alle Beteiligten auf ihr Gehalt verzichtet und bekommen es erst, wenn der Film Geld einnimmt. „Ich wollte, dass alle im Abspann genannt werden. Selbst wenn sie uns nur eine Luftmatratze geliehen haben.“
Tüllmann fasste nach dem Abschluss 2003 zunächst als Tonassistentin in der Filmlandschaft Fuß und ist immer noch ein großer Ton-Fan. In dieser Zeit habe sie aber auch etwas Eigenes auf die Beine stellen wollen. „Ein Film noch, und dann mache ich etwas Eigenes“, sagte sie sich und schob es doch immer wieder auf. Als sie dann eine eigene Casting-Agentur aufbauen wollte, habe sie eine Freundin gerade noch davon abgehalten. „Das ist sehr erwachsen von dir, aber dann bist du aus dem Film-Ding raus, sagte sie und hatte recht.“
Durch einen Zufall habe sie durch einen Freund von einem Drehbuchwettbewerb erfahren und innerhalb weniger Stunden ein Film-Treatment geschrieben. Als sie damit sogar unter die ersten 180 kam, habe sie sich gedacht, dass die Idee ja nicht so schlecht sein könne, und arbeitete weiter daran.
Doch der Psychothriller, den sie machen wollte, wurde von allen Verleihern und Sendern abgelehnt. So entschloss sie sich, ihr ganzes Geld in den Film zu packen und ihn selbst zu produzieren. „Ich habe noch nie so viel geweint“, sagt sie zu der Erfahrung.
Gut ein Jahr ist der Film jetzt fertig und hat schon einige Preise abgeräumt, darunter den Publikumspreis des Kinofests Lünen. Highlight war vor einigen Wochen das Austin Filmfest, bei dem sie nicht nur den Preis für das beste „Dark Matter Feature“ abräumte, sondern sich auch plötzlich wiederfand neben Robert Rodriguez und Kenneth Lonergan. Leider hat der Film immer noch keinen Kinovertrieb in Deutschland, weshalb sie es wahrscheinlich wieder selbst in die Hand nimmt.
Das Genre interessiert auch Frank Döhmann weiter in der Fragerunde, da es überhaupt nicht sein Metier sei. „Ich wollte einfach was machen, worauf ich Bock habe“, antwortet Tüllmann in ihrer sympathisch bodenständigen Art. Sie erklärt weiter, dass in Deutschland hauptsächlich Dramen oder Krimis gemacht würden, aber Genre-Stücke, laut Verleihern, kein Publikum hätten. Sie aber bleibt unbeirrt und sagt, dass ihr nächstes Projekt, wenn es denn von ihr geschrieben werde, sehr wahrscheinlich wieder etwas in die Richtung Thriller sein werde. „Also, wenn ich schreibe, dann denke ich schnell: ‚Ach jetzt könnte ja der sterben.‘“
Ihren Werdegang wollte die Filmemacherin keinen empfehlen und richtete deswegen noch ein paar weise Worte an die Studierenden: „Nutzt eure Zeit!“, sagt sie. „Nie wieder werdet ihr unter so guten Umständen etwas machen können.“ Bis heute bereue sie es, die Studienzeit nicht stärker genutzt zu haben.
Zum Abschluss fragte sie Döhmann, ob sie denn mal etwas fürs Fernsehen machen wolle, auch wenn sie „Freddy/Eddy“ gerne auf der großen Leinwand sähe. „Voll gerne!“, antwortet sie salopp. „Würde auch mal so Quatsch machen, einfach um das Geld zu verdienen. Gebe ja seit Jahren nur Geld aus“, sagt sie lachend.
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