Freitag, 24. Februar: Auch bei den traditionellen Teddy Awards für die besten Filme mit LGBTIQ-Thematik aus den verschiedenen Sektionen des Internationalen Film Festivals von Berlin gab es Corona-bedingt zwei wenig glamouröse Ausnahmejahre. 2023 konnte sich endlich wieder eine bunte Schar in der ausverkauften Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in der Hauptstadt zusammenfinden, um die besten queeren Filme des diesjährigen Berlinale-Jahrgangs zu feiern und den Fokus einmal mehr auf die weltweit nach wie vor schwierige Situation von nicht-heterosexuellen Menschen zu lenken. In ihrer Begrüßungsansprache fasste Claudia Roth, die Staatsministerin für Kultur und Medien, die aktuelle Lage zusammen: „Demokratien in der ganzen Welt werden angegriffen von Diktatoren, von Autokraten, von Feinden der Menschenrechte, die voller Hass und Gewalt sind gegen diejenigen, die volle Gleichberechtigung für sich wollen, und nicht nur ein bisschen Gleichberechtigung. Gegen diejenigen, die für ihre unveräußerlichen Rechte für Selbstbestimmung und Menschenrechte kämpfen. […] Der Teddy Award ist nicht nur der älteste und wichtigste queere Filmfestival-Preis, sondern auch ein kraftvolles Statement der Akzeptanz, der Anerkennung, des Respekts, der Solidarität und der Gleichberechtigung in unserer globalen Gesellschaft.“ Wie politisch dieser Filmpreis ist, zeigte sich nicht nur in einer Schweigeminute zum Jahrestag des Überfalls von Russland auf die Ukraine, sondern auch in einem Beitrag der Frauenbewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ (Jin, Jiyan, Azadî), die seit September 2022 im Iran für Schlagzeilen sorgt, und von der offen lesbischen Sängerin Luna musikalisch untermalt wurde.
Mehr queere Filme als je zuvor
Moderator Brix Schaumburg erläuterte, dass im Festivalprogramm der Berlinale 2023 mehr queere Filme als je zuvor zu sehen waren, 43 Lang- und zehn Kurzfilme hatten sich aufgrund ihrer LGBTIQ-Thematik für einen der fünf Teddy Awards qualifiziert. Die sechsköpfige internationale Teddy-Jury musste in den neun Festivaltagen einen wahren Sichtungsmarathon hinlegen. Den Jury Award vergab sie an die Hauptdarstellerin Vicky Knight in Sacha Polaks niederländisch-britischer Koproduktion „Silver Haze“, in der die durch einen Brand als Kind schwer verletzte Frau eine quirlige Krankenschwester spielt, die sich in eine ihrer Patientinnen verliebt und mit dieser schließlich in ein neues Leben entflieht. Der Teddy für den besten Kurzfilm ging an Derik Lynch und Matthew Thorne für „Marungka tjalatjunu“ (Dipped in Black), einem australischen Film mit einem höchst ungewöhnlichen Setting. Er erzählt von einem Mitglied des Ureinwohner-Stammes der Yankunytjatjara, das in das Land seiner Kindheit zurückkehrt, um dort eine spirituelle Heilung zu vollziehen. Der 25minütige Dokumentarfilm nutzt die traditionelle Form des Geschichtenerzählens der australischen Ureinwohner, die aus Visuellem, Verbalem und Körperlichem besteht, und seit 60.000 Jahren von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Der Film thematisiert dabei nicht nur die Unterdrückung, die den Yankunytjatjara von der weißen australischen Bevölkerung entgegenschlägt, sondern auch die Schwierigkeit, als Ureinwohner zu seiner Queerness zu stehen.
Die Welt zu einem besseren Ort machen
Einen ersten emotionalen Höhepunkt markierte die Verleihung des Special Teddy Award an Andriy Khalpakhchi und Bohdan Zhuk. Die beiden verleihen schon seit vielen Jahren auf dem Molodist Film Festival in Kiew den queeren Filmpreis „Sunny Bunny“. Trotz des Krieges mit Russland konnte das Festival auch im Dezember 2022 in abgespeckter Form stattfinden, für Juni 2023 planen die Organisationen nun sogar ein eigenständiges queeres Filmfestival in ihrem Land, das dann das erste dieser Art in der Ukraine sein wird. In der Kategorie „bester Dokumentar- oder Essayfilm“ ging der von Comicautor Ralf König designte Preis an den Schriftsteller Paul B. Preciado, der mit „Orlando, ma biographie politique“ seinen ersten Film inszeniert hatte. In Anlehnung an Virginia Woolfs weltbekannten, fast 100 Jahre alten Roman „Orlando“ zeichnet der Filmemacher darin ein aktuelles Bild non-binärer Menschen, die wie Woolfs Romanfigur zwischen den Geschlechtern mäandern. Bei seiner Dankesrede sagte Preciado: „Ich möchte diesen Preis dem Mut und der Schönheit, der Freude und der Liebe der 25 trans- und nicht-binären Menschen widmen, die mich bei der Realisierung des Films und dem damit verbundenen Abenteuer begleitet haben.“ Zum besten Spielfilm kürte die Jury Babatunde Apalowos „All the Colours of the World Are Between Black and White“. Das nigerianische Langfilmdebüt erzählt von der Liebe zwischen zwei Männern, die unter keinem guten Zeichen steht. Denn gleichgeschlechtliche Beziehungen sind in diesem afrikanischen Land nach wie vor ein Tabu und können strafrechtlich verfolgt werden. Dazu sagte Filmemacher Apalowo: „Ich hoffe, dass dieser Film mehr Empathie für die LGBTIQ-Community in Nigeria hervorrufen wird. Wir müssen weiter gemeinsam dafür kämpfen, wir müssen uns gegenseitig unterstützten angesichts von Bigotterie und AIDS. Wir müssen die Kraft von Film und Kunst nutzen, um unsere Kinder zu inspirieren und diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.“
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