Für den Sensenmann scheint die große Stunde gekommen zu sein: Nichts Geringeres als die Apokalypse hat er zu verkünden. Und der Komet, der die Erde treffen soll, gehört noch zu den harmloseren Details seiner düsteren Prophezeiungen. Dumm nur, dass der Sensenmann so ungemein versoffen ist. Statt seinen Job zu machen, versackt er mit seinen Zechkumpanen und verpasst im Suff seinen Einsatz. Die Apokalypse fällt aus.
Michel de Ghelderode, belgischer Vertreter des absurden Theaters, schrieb 1934 die „Ballade vom großen Makabren“. In den 70er Jahren brachte György Ligeti den tragikomischen Knochenmann auf die Opernbühne – als „Anti-Anti-Oper“. „Anti-Anti“, weil Ligeti ursprünglich unverständliche Gesangspartien schreiben wollte – eben eine „Anti-Oper“ – und sich dann doch für Texte entschied.
Wer „Le Grand Macabre“ über weite Strecken als ziemlichen Blödsinn empfindet, liegt damit nicht unbedingt falsch. Ligeti wollte der allgegenwärtigen Apokalypse-Hysterie der 70er Jahre ironisch etwas entgegensetzen und schuf ein schwarzhumorig derbes Opernspektakel, in dem er musikalisch ein komplexes eklektisches Feuerwerk abbrennt – so komplex übrigens, dass Ligeti mit den meisten Aufführungen unzufrieden war und in den 90er Jahren eine überarbeitete Fassung herausgab. An der Aufführung, wie sie zurzeit im Essener Aalto-Theater erklingt, hätte er mit Sicherheit seine Freude gehabt. Dima Slobodeniouk heißt der junge russische Gastdirigent, der sich als Spezialist für neue Musik bereits einen Namen gemacht hat und nun am Aalto sein Debüt gibt. Bereits nach der Pause erntet er einen beachtlichen, hochverdienten Applaus.
Eine so krause Geschichte halbwegs schlüssig zu inszenieren, ist unterdessen ebenfalls keine leichte Aufgabe. Regisseurin Mariame Clément, die zweite Aalto-Debütantin der Produktion, und ihre Ausstatterin Julia Hansen finden den Ausweg in der virtuellen Welt eines Adventure-Computerspiels. Der Trunkenbold „Piet vom Faß“ (Rainer Maria Röhr) ist der Nerd, der zwischen Pizzakartons und leeren Getränkedosen an seinem Laptop sitzt und die bizarre Geschichte um den Sensenmann Nekrotzar (Heiko Trinsinger) – Piets Avatar –, die geile Mescalina (Ursula Hesse von den Steinen) und ihrem überforderten Astradamors (Tijl Faveyts) lenkt. Die Regieidee ist nicht wirklich neu, aber ermöglicht doch eine ganze Reihe wirklich schöner Gags. Gut gelungen ist auch die Uminterpretation des Fürsten Go-Go (Jake Arditti) in den US-Präsidenten, der mit seinen Ministern im Oval Office ringt.
Am Ende geht der Regie allerdings die Luft aus. Die Sänger stecken ihre Köpfe aus einem Ölgemälde Pieter Bruegel des Älteren (Die niederländischen Sprichwörter) heraus. Der Bezug ist nicht willkürlich. Ligeti und sein Ko-Librettist Michael Meschke siedelten ihre Oper in „Breughelland“ an. Szenisch ist dieser Kunstgriff allerdings nicht sonderlich tragfähig und macht das Ende etwas zäh.
„Le Grand Macabre“ | Mi 4.3., Fr 6.3., Mi 18.3., Fr 20.3. 19.30 Uhr | Aalto Theater, Essen | 0201 812 22 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24
In neuem Licht
Das Aalto-Theater zeigt Verdis „Simon Boccanegra“ – Oper in NRW 01/23
Bauernschwank in der Mehrzweckhalle
Das Regieduo Skutr inszeniert „Die verkaufte Braut“ in Essen – Oper in NRW 01/18
Jack Sparrow singt Oper
Guy Joosten inszeniert „Die schweigsame Frau“ in Essen – Oper in NRW 04/15
Ritter mit Frauenstimmen
Jim Lucassen inszeniert Händels „Ariodante“ in Essen – Oper in NRW 06/14
Eine neue Chance für die Fremde
Christof Loys spätes Regie-Debüt in Essen – Oper in NRW 04/14
Die Leiden der jungen Charlotte
Jules Massenet Oper Werther – Opernzeit 12/13
Schaltzentrale der Macht
Hilsdorfs Abschiedsvorstellung mit Verdis „Räubern“ in Essen – Oper In NRW 07/13
Party-People mit Chaos im Kopf
Jetske Mijnssen inszeniert Mozart in Essen – Oper in NRW 08/12
„La Traviata“ zu Zeiten des Penicillins
Josef Ernst Köpplinger inszeniert in Essen - Oper in NRW 06/12
Mord in düsterer Spelunke
Dietrich Hilsdorf inszeniert „Hoffmanns Erzählungen“ in Essen - Oper in NRW 04/12
Suche nach dem verlorenen Selbst
Tschaikowskys „Eugen Onegin“ am Aalto Theater Essen – Opernzeit 03/12
Triumph der Güte?
„La Cenerentola“ in Essen und Hagen – Oper in NRW 12/24
Goldene Flügel der Sehnsucht
Großes biblisches Drama: „Nabucco“ an der Oper Köln – Oper in NRW 12/24
Unerwartet Kaiserin
„Der Kreidekreis“ in Düsseldorf – Oper in NRW 11/24
Besiegt Vernunft die Leidenschaft?
„Orlando“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/24
Horror und Burleske
Die Spielzeit 24/25 am Gelsenkirchener MiR – Oper in NRW 07/24
Opern-Vielfalt am Rhein
„Nabucco“ eröffnet in Düsseldorf die Spielzeit 2024/25 – Oper in NRW 06/24
„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“
Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Interview 06/24
Welt ohne Liebe
„Lady Macbeth von Mzensk“ am Theater Hagen – Oper in NRW 05/24
Die Gefahren der Liebe
„Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln – Oper in NRW 05/24
Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24
Täuschung und Wirklichkeit
Ein märchenhafter Opern-Doppelabend in Gelsenkirchen – Oper in NRW 02/24
Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24