Der Maestro Stefan Soltesz hat seine letzte Premiere bereits dirigiert, nun gibt auch Regielegende Dietrich Hilsdorf seinen Abschied an der Aalto-Oper. Hilsdorf inszeniert einen letzten Essener Verdi. Dass sich dessen Geburtstag bald zum 200. Mal jährt, dürfte in diesem Falle einmal nicht der Hauptgrund gewesen sein. Denn immerhin sieben von 19 Hilsdorf-Inszenierungen in 25 Jahren Aalto-Theater waren Verdi-Opern – überwiegend Kassenschlager, darunter auch eine „Aida“, die seit 20 Jahren zum Repertoire gehört. Gab Hilsdorf 1988 seinen Einstand mit dem späten Verdi-Meisterwerk „Don Carlo“, so ist er nun am Ende bei einem Frühwerk angelangt: „I masnadieri“, eine Adaption der „Räuber“ von Schiller.
Es gehört zu den Luxusproblemen eines Komponisten, der zu viele gute Werke geschrieben hat, dass seine früheren gerne mal in der Mottenkiste verschwinden, auch wenn sie bereits gelungen waren. Bei Verdis „Räubern“ war das der Fall. Höchst selten sind sie mal auf der Bühne zu erleben. An der Aalto-Oper sind „I masnadieri“ gar eine Erstaufführung. Dabei ist die Partitur durchaus vital und packend, mögen manche Verdi-Spezialisten auch bemängeln, dass die Tonsprache des damals 33jährigen Komponisten noch nicht ganz ausgereift war.
Dass sie dennoch voller schöner und dramatisch starker Einfälle steckt, beweist Srboljub Dinić am Pult der Essener Philharmoniker. Dinić nimmt das verschmähte Frühwerk absolut für voll und entfesselt einen so farbenprächtigen und wirkmächtigen Klangrausch, dass sich der Zuhörer dieser Musik kaum entziehen kann. Auch optisch vermag die Aufführung Interesse zu wecken. Stamm-Ausstatter Johannes Leiacker, der bereits zum 13. Mal mit Hilsdorf zusammenarbeitet, und Beleuchter René Dreher führen den Zuschauer äußerst geschickt aus dem Wald des Originallibrettos von Andrea Maffei in eine prunkvolle Schaltzentrale der Macht – mit schönem Blick auf den Wald.
Der todkranke Graf Maximilian (Marcel Rosca) sitzt am Schreibtisch in einem riesigen, protzigen Raum und weckt in Essen Assoziationen mit einem der Krupp-Patriarchen in seiner Villa Hügel. Es lässt sich schnell erahnen, wohin Hilsdorfs Regie-Konzept zielt: zum einen auf die Strukturen einer kaputten Familie, zum anderen auf die Räuber unserer Tage: Investment-Banker, die im dritten Akt die marmorne Halle mit flimmernden Computerbildschirmen belagern.
Die Parallele ist plausibel und leider nur zu wahr, allerdings auch arg naheliegend. Es ist sicher nicht das innovativste Konzept in Hilsdorfs Verdi-Zyklus. Dennoch besticht der Altmeister einmal mehr mit brillantem Handwerk und legt zwar keine spektakuläre, aber doch sehr sehenswerte Abschiedsvorstellung hin. Auch die Solisten tragen entscheidend zur Qualität der Produktion bei. Liana Aleksanyan singt eine schöne lyrische Amalia, Zurab Zurabishvili einen jugendlich-vitalen Karl. Der eingesprungene Bariton Aris Argiris avancierte als höchst präsenter, böser Franz zum Star der ersten Vorstellungen. Im Juli wird Mikael Babajanyan die Partie singen.
„Die Räuber“ I 3.7.19.30 Uhr I Aalto-Musiktheater Essen I 0201 812 22 00
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