Auch wenn die 1980 eröffnete, mittelgroße Buchhandlung Klaus Bittner immer ein wenig versteckt scheint und vor allem seit dem Deutschen Buchhandlungspreis 2018 durchaus noch von Einheimischen erstmals entdeckt wird, hat sie den großen Vorteil zweier Eingänge in unterschiedlichen Straßen und eines zusätzlichen Schaufensters, das die Beziehung mit der Umgebung verstärkt. Anders als in typischen Buchhandlungen fühlt man sich hier nicht eingemauert und erschlagen. Regelmäßig kooperiert die Buchhandlung, die spezielle Abteilungen für Lyrik und Südamerika vorweisen kann, mit Festivals und Institutionen wie der Poetica, phil.Cologne, Literaturhaus und Institut Français – bei Veranstaltungen, die gut zur Ausrichtung und Kapazität des Ladens passen. Derzeit treffen die Frühjahrsnovitäten ein, die jährliche Schwemme neuer Bücher, die zu bestellen, ins System einzupflegen und im bis zum Rande gefüllten Geschäftsraum unterzubringen sind. Eine Erleichterung für Kunden: Im Schaufenster sind die aktuellen Empfehlungen des Personals zu sehen, ganz oben derzeit drei Bücher von James Baldwin. Eigentümer Klaus Bittner, gelernter Buchhändler, hat sie dort platziert.
„Ich habe letzten Herbst auf Arte ‚I Am Not Your Negro‘, den Dokumentarfilm über James Baldwin gesehen, und der hat mich sehr beeindruckt“, erläutert er. „Ich muss zugestehen, ich kannte seinen Rang als Schriftsteller, hatte ihn aber vorher nie gelesen, weil es auch fast jahrzehntelang nichts mehr lieferbar von ihm gab. Also begann ich die beiden Romane, die damals gerade bei dtv neu erschienen waren, zu lesen. Beide sehr unterschiedlich: ‚Von dieser Welt‘, ein früher Roman von ihm, der noch ganz stark durchwebt ist von seiner Baptistenvergangenheit, aber eigentlich wie ein Rapsong daherkommt, also sprachlich großartig erzählt ist. ‚Beale Street Blues‘, ein später Roman – da lebt er schon in Frankreich –, ist ein Buch, das mich auch erschüttert hat aufgrund seiner Aktualität und der Schilderung des ekelhaften weißen Rassismus in Amerika, aber auch des religiösen Fanatismus der schwarzen Bevölkerung. Was ich zum Beispiel gar nicht wusste: dass die hellen Schwarzen eine Verachtung für ihre dunkleren Mitmenschen an den Tag legen. Das macht er alles zum Thema, und gleichzeitig ist es eines der schönsten Liebesromane, die ich seit langem gelesen habe.“ Eine Verfilmung startet jetzt im Kino.
Aktuell hält Klaus Bittner die Neuerscheinung „Nach der Flut das Feuer“ (dtv, 128 S., 18 €) hoch. Es enthält Baldwins „beiden wirklich großen Aufsätze über den amerikanischen Rassismus und die amerikanische Gesellschaft in den 60er Jahren. Da zeigt sich auch die große Bedeutung Baldwins für die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Das wusste ich zum Beispiel überhaupt nicht, dass er neben Malcolm X und Martin Luther King einer der wichtigsten Bürgerrechtler der Schwarzenbewegung gewesen ist und sich dann nach Frankreich gerettet hat. Wer weiß, ob er sonst auch umgebracht geworden wäre. Also es ist zum einen großartige Literatur – wahnsinnig präzise politische Analysen – und gleichzeitig unglaublich aktuell, wie sich die Situation in Amerika, aber auch in vielen Ländern Europas wieder darstellt.“ Und damit rennt Bittner zurück in sein Hinterzimmer, wo Stapel neuer Bücher auf ihn warten, die den Kunden nicht lange vorenthalten werden sollen.
Die seit 38 Jahren bei Bittner tätige Buchhändlerin Klefisch führt als ihren bisherigen Favoriten unter den Büchern des Frühjahrs Kenah Cusanits „Babel“ (Hanser, 272 S., 23 €) an als eines „der wenigen Bücher, wo ich am Ende traurig war, dass es zu Ende war“. Darin geht es um die Ausgrabung der Stadt Bablyon im heutigen Irak, über die zuvor nur aus antiken Schriften zu lesen war. „Das Buch ist von einer Autorin, die bisher nur als Lyrikerin bekannt wurde, sie ist aber auch studierte Alt-Orientalistin“, so Klefisch. „Wir lernen den deutschen Ausgräber Robert Koldewey kennen, der 18 Jahre vor Ort verbracht hat, wir lernen etwas über Gertrude Bell, eine englische wohlhabende Arabienreisende, die sich in der Gegend wunderbar auskannte und kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges auch für die britische Regierung tätig war, als die Deutschen, Franzosen und Briten Konkurrenten im Ausgraben unglaublich toller Funde waren.“
„Während der Kaiser in Berlin auf große Einzelfunde spekulierte, war Koldwey jemand, dessen Obsession darin bestand, diese ganze Stadt Babylon ausgraben zu wollen“, so Klefisch weiter. „Ihm haben wir letztendlich zu verdanken, dass etwa das Ischtar-Tor oder die Prozessionsstraße, jetzt die Highlights des Pergamonmuseums, tatsächlich nach Berlin gekommen sind. Das hat er aber auch seiner privaten Freundschaft mit Gertrude Bell zu verdanken, die es geschafft hat, seine Hunderte von Grabungsfunden während des Krieges beiseite zu schaffen.“
Es handle sich aber eben nicht um eine Biografie Koldeweys. Vielmehr liefere die Autorin „sehr schöne blitzlichtartige Texte, die auch ihn als Menschen, als sehr klugen, skurrilen Eigenbrötler und Einzelgänger zeigen, der, etwas unglücklich bei der Auswahl seiner Mitarbeiter, über diese im Stillen auch räsoniert. Wobei man sagen muss, das sind alles Dinge, die auf Fakten basieren, mit einer profunden Kenntnis auch der arabischen Stämme vor Ort und von einem schönen Witz und Humor durchsetzt. Also man erfährt wirklich was, sowohl zum wilhelminischen Berlin wie auch zu den Ausgrabungen bis hin zum Turm von Babel, zum anderen über diese sehr unterschiedlichen Charaktertypen dieser Menschen, die mit ihm an der Ausgrabung beteiligt waren.“
Ihr Kollege, der immer zu einem Gespräch über Bücher aufgelegte Literaturwissenschaftler Christoph, empfiehlt einen „angestaubte alten Schinken“ von 1890, der nun wieder erhältlich ist: Oskar Panizzas „Die Menschenfabrik“ (Hoffmann und Campe, 64 S., 14 €). Es sei „eine ganz, ganz kurze, präzise Erzählung“, sagt Christoph. „Es geht um einen Wandersmann, der nachts bei Gewitter einen Unterschlupf sucht und an die Tür eines großen Fabrikgeländes klopft. Die Tür wird ihm auch bereitwillig geöffnet und er bekommt nach und nach eine Führung durch diese Hallen. Dabei wird immer deutlicher, dass er sich in einer Fabrik befindet, in der Menschen künstlich hergestellt werden. Das Besondere ist der Clou am Schluss, wo nichts ist, wie es auf den ersten 65 Seiten scheint. Und man kann es auch lesen als Beitrag zur Gentechnologiedebatte im weiteren Sinne, was ist der Mensch und was macht ihn aus. Das ist ein sehr kluges kleines Buch, hat man in einer Stunde durch und ist dann traurig, dass es vorbei ist.“
Nach Informationen zum Autoren gefragt, erklärt er: „Das ist eigentlich eine Dystopie, lange vor Huxley und Orwell, er selber ist ein Münchener Schriftsteller gewesen, der lange in Zuchthäusern war, wie es damals hieß, weil er sich eben solchen Themen angenommen hat. Das war im wilhelminischen Deutschland überhaupt nicht angesehen.“ Folglich sei das Buch auch bald verschwunden. Noch in jüngeren Jahrzehnten hat es Panizzas Werk schwer, darunter die teilweise verbotene Verfilmung von „Das Liebeskonzil“.
An der Begeisterung der drei Buchhändler für einzelne Titel ist auch zu abzulesen, mit wie vielen nicht so guten Büchern sie es wohl zu tun haben, bevor sie eines entdecken, das ihnen etwas Neues bietet und bis zum Ende fesselt. Sie sind stolz, in Zeiten des Internets fundierte Beratung bieten zu können. Die Lust zur Entdeckung ist sicher ein Grund dafür, dass der Laden in der Albertusstraße auch in Laufweite von weiteren Buchhandlungen seit bald 40 Jahren besteht.
Nächste Veranstaltung:
Martin Becker und Jaroslav Rudiš: Warten auf Kafka / Winterbergs letzte Reise | Mo 11.3. 19.30 Uhr | Literaturhaus | www.bittner-buch.de/events
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