Es gibt eine ganze Reihe an aktivistischen Filmen, die uns mit der gegenwärtigen Ölindustrie vor Augen führen, wie schonungslos die Wirtschaft immer noch mit unserer Umwelt umgeht und sie alle vermitteln die dringende Botschaft: „Tut doch was!“ Bekannt ist da vor allem „Fuel“ von Josh Tickell, der die Abhängigkeit der USA von der Industrie in seinem Zweiteiler schon 2008 porträtiert hatte. Der Dokumentarfilm „Dark Eden- Der Albtraum vom Erdöl“ von Jasmin Herold und Michael Beamish funktioniert anders. Die Produzentin des Films Melanie Andernach (Filmproduktion Made in Germany) und der Kameramann Andreas Köhler (Global Family, 2018) erklärten am Montag in der Filmpalette warum.
Der Film erzählt von der kanadischen Stadt Fort McMurray, die durch eines der größten Ölgewinnungsprojekte der Welt bekannt wurde. Sie hat eine Art Goldsuchermentalität: Menschen aus der ganzen Welt kommen hier her – immer auf der Suche nach dem schnellen Geld. 100.000 Menschen leben und arbeiten auf den Ölsandfeldern, die sich vor den Toren der Stadt befinden und Teil eines der größten Industrieprojekte der Welt sind.
Das gewonnene Öl ist jedoch an teerhaltigen Sand gebunden und kann nur durch einen schwierigen Prozess gewonnen werden: Der Sand wird mit giftigen Chemikalien aufgekocht, der Sud landet in einem riesigen künstlichen See. Vögel verenden, wenn sie hier landen. Shell stellt dafür Geschosse auf, die alle paar Minuten losgehen und die Vögel verjagen sollen. Die Luft riecht nach Tankstelle, die Kinder erblinden, Krebserkrankungen im Kollegenkreis sind ganz normal. Auch die Tiere, die Elche und die Rehe, die durch die majestätisch anmutenden Giftwolken der Fabriken laufen, kann niemand mehr essen. Alles ist verseucht, so scheint es. Und der große Waldbrand im Film bedeutet für viele Bewohner das Ende hier. Die kanadische Regierung stellte bereits kurz nach den erfolgreichen Löscharbeiten neue Förderlizenzen aus.
Welche Motive haben die Bewohner?
Was sind die Motive derer, die hier leben? Warum setzen sie sich derartigen Einflüssen trotzdem aus? „Ich fand genau das interessant“, erklärt Melanie Andernach.
„Dark Eden“ sei vor allem ein emotionaler Film über die Menschen, die ehrlich über ihre Beweggründe für Fort McMurray sprechen: Geld verdienen, einen gedeckten Tisch, sich einmal ein eigenes Haus leisten können. So wie Markus und Olga Hoormann, die 12-Stunden-Schichten schieben und von einer alten Hütte in den Wäldern von Kanada träumen. Oder Kerry Hammond, der sich mit seinem Verdienst die Großwildjagd in Afrika finanziert und für seine Rente spart. Selbst die Regisseurin bleibt ungeplant hier, weil sie sich verliebt. Ihr Mann und Co-Regisseur Michael betreibt ein Theater, das von Shell gesponsort wird. Wie alle Institutionen in der Stadt. Auch die Krankenhäuser. Michael bekommt Krebs, die kanadischen Ärzte geben ihm keine Chance.
Andreas Köhler hat über einen Zeitraum von 3 ½ Jahren hier gedreht und stand in engem Kontakt zu allen gezeigten Protagonisten des Films. „Markus und Olga sind durchaus sehr sympathische Menschen, überaus pragmatisch. Er hat auf Nachfrage immer damit argumentiert, dass jemand anderes seine Arbeit mache, wenn er es nicht täte. Für ihn war das so einfach.“ Er beherrsche das Wegsehen, genau wie Robbie Picard, der mit seiner Kampagne „I love Oilsands“ gegen die Lügen und Halbwahrheiten protestiert, die verbreitet würden. In dicken weißen Lettern steht sein Slogan auf einem schwarzen T-Shirt, das er trägt. Die Luft sei klar und sauber in Fort McMurray. „And I’m awesome“, lächelt er in die Kamera. Köhler versichert den Zuschauern, dass er das ernst meine.
Kein Fanatismus
Offensichtlich sorgt der Film für Entsetzen. Jasmin Herold bewirkt das aber eben ohne den Fanatismus, den wir sonst kennen. Sie will nur verstehen, nicht anklagen. „Die Protagonisten finden sich so in der Dokumentation wieder, wie sie wirklich sind“, erklärt Andernach. Sie sind offen zu Herold, die Fort McMurray am Ende auch verlässt. Die deutschen Ärzte gaben Michael trotz der Befunde in Kanada nicht auf. Heute leben und arbeiten die beiden in Leipzig. Michael ist jetzt krebsfrei.
Zu sehen ist „Dark Eden" vom 18.4. bis 24.4. um 17.30 Uhr in der Filmpalette Köln.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24
Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24
Rechtsextreme Terroranschläge
„Einzeltäter Teil 3: Hanau“ im Filmhaus – Foyer 02/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24