Dienstag, 3. Januar: Es beginnt originellerweise von hinten: Grafikdesigner Stefan Sagmeister will sich von Luftballons mit der Aufschrift „The End“ in die Höhe heben lassen – und scheitert kläglich. Seine Freundin schlüpft unter lautstarkem Protest des Regisseurs an seiner Statt in den Gurt – und fliegt. Das volle Filmforum quietscht vor Lachen. Und lustig geht es weiter. Sagmeister, der in New York erfolgreich ein Studio leitet, hat sich vor sieben Jahre auf die Suche nach dem Glück begeben und den Selbstversuch mit der Kamera dokumentiert. Dabei ging er nach wissenschaftlichen Erkenntnissen vor: Glück wird erreicht durch Meditation, Verhaltenstherapie oder Drogen. Er begrenzt die Testphasen auf drei Monate. Gewissenhaft bewertet der Vorarlberger sein tägliches Befinden mit Punkten. Nein, die Filmidee ist nicht neu, wurde aber wohl noch nie derart kreativ und witzig umgesetzt.
Das buddhistische Meditationsseminar im idyllischen Bali erweist sich als Hölle: Der Rücken schmerzt, die Langweile lastet, Althippies und verwirrte Midager nerven. Wie gut, dass sich der Protagonist in eine junge hübsche Frau verliebt. Die Romanze, per zauberhaftem Scherenschnitt dargestellt, endet jedoch genauso schnell wie sie begann. Nun kommt Psychotherapie an die Reihe. Sagmeister outet sich als rationaler, ordnungsverliebter, passiver Kopfmensch, der die kameradschaftliche der leidenschaftlichen Liebe vorzieht. Seine neue Flamme „Miss Heimlich“ sieht das anders und ist ebenfalls schnell wieder weg. Diesmal wird die Beziehung durch farbige Tintenspritzer in Wasser visualisiert. Next one: Das Versuchskaninchen nimmt unter medizinischer Aufsicht Antidepressiva ein. Und wie das Leben so spielt: Die nächste junge Schönheit steht vor der Tür. Sagmeister verliebt sich so sehr, dass er nach 10 Tagen um ihre Hand bittet. Was natürlich überhaupt nichts mit den Psychopharmaka zu tun hat! Das Publikum wiehert vor Lachen.
Was „The Happy Film“ – ab Donnerstag in der Filmpalette – so besonders macht, sind die kreativen Typografie-Einfälle, mit denen Inhalte visualisiert werden: Tiere fressen die aus Sahne oder Reis geformten Schlagwörter, Tänzerinnen entrollen Buchstabenbanner, im Wald drapierte Holzstecken entpuppen sich als Impetus. Auf die Frage von choices, was denn zuerst dagewesen sei, die Sehnsucht nach dem Glück oder das Grafikprojekt, antwortet Sagmeister: „Beides.“ Er wollte seine Suche nach streng wissenschaftlichen Kriterien durchführen. Nach zwei Jahren bat ihn das Institute of Contemporary Art in Philadelphia um eine Ausstellung. „The Happy Show“ machte weltweit mehr als 500.000 Besuchern Glückserleben in origineller Art und Weise greifbar. Dafür gedrehte Typografieclips flossen wiederum in den Film ein. Die Ausstellung gastierte auch im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst, dessen Kurator Peter Zizka im anschließenden Filmgespräch unter Moderation von Tanja Godlewsky vom Kölner Design-Büro FRAM erläuterte, wie wichtig es für Designer sei, nicht nur Kollegen, sondern die Allgemeinheit zu erreichen. Dies sei der „Happy Show“ gelungen.
Stefan Sagmeister wiederum plauderte aus dem Nähkästchen, dass er früher ministriert, den Spruch vom Hinhalten der anderen Wange tief inhaliert habe. Ob denn im Film nicht zu sehr seine Schwächen betont wurden? „Als wir das viele Rohmaterial gesichtet haben, wurde deutlich, dass meine Stärken uninteressant sind“, so der neugebackene Filmstar. „Ich kenne Kollegen, die große Projekte mit Millionenbudget und hundert Mitarbeitern in den Sand gesetzt haben. Das sind Leute, die mehr drauf haben als ich.“ Im Gegensatz zu seinem sonstigen Erfolg erlebte er die jahrelangen Dreharbeiten als Wandeln am Abgrund. Umso mehr erfreut ihn das positive Feedback. Auf unsere Frage, ob er heute glücklicher sei, antwortet er wie aus der Pistole geschossen mit „Ja“. Man könne in Beziehungen, der Arbeit oder bei „dem, was Größer ist als man selbst“ glückhafte Momente erleben. Oder wie es der 2016 als „Auslandsösterreicher des Jahres“ Ausgezeichnete formuliert: „Das Glück is a Vogerl.“
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