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Wolfgang Cimera

„Der 90-Minüter hat nichts an Popularität verloren“

27. Februar 2019

Wolfgang Cimera von Network Movie über neue und alte Sehgewohnheiten – Filmwirtschaft 03/19

Nur noch Krimis? Was macht der deutsche Fernsehfilm? Ist Netflix noch zu stoppen? Wir sprechen darüber mit Wolfgang Cimera. 2006 begann Cimera bei der Network Movie GmbH. Gemeinsam mit Jutta Lieck-Klenke ist er seit 2009 Geschäftsführer der Firma, die als Tochter von ZDF Enterprises vor allem für das ZDF, RTL und Das Erste produziert.

Herr Cimera, mit Krimis und Fernsehspielen versorgen Sie das deutsche Fernsehen. Dazu kommt im Herbst „Deutschstunde“, produziert von Ihrer Partnerin Jutta Lieck-Klenke, ins Kino. Wie sehen Sie die derzeitigen Publikumsbedürfnisse?
Das TV-Angebot für die Zuschauer ist so vielfältig und groß wie niemals zuvor. Dies verdankt das Publikum genauso den neuen Anbietern, Stichwort Streamingplattformen, als auch den etablierten linearen Anbietern, die programmatisch auf die neue Konkurrenz reagiert haben. Es zeigt sich für das TV-Geschäft einerseits, dass ein Teil des Publikums angesichts dieses Angebots selektiver schaut, ein anderer Teil sich überfordert fühlt und auf bekannte Sendeplätze zurückzieht. Beides soll natürlich bedient werden. Um allerdings in diesem vielstimmigen Konzert die Bedürfnisse des Zuschauers herauszuhören, muss man sein Ohr schon sehr nah am Markt haben, um schnell reagieren zu können. Gleiches gilt natürlich fürs Kino – soweit ich das überhaupt beurteilen kann. Ich glaube nicht, dass sich das aus deutscher Sicht eher schwache Kinojahr 2018 auch 2019 wiederholen muss. Sicherlich würden dem deutschen Kino ein paar wenige Erfolge mit Zuschauerzahlen von über drei Millionen gut tun, um wieder „Talk of the Town“ zu werden. 

Ist es schwieriger geworden, 90-Minüter zu entwickeln, egal ob fürs Fernsehen oder Kino?
Ich fühle mich nicht berufen, für das Kino zu sprechen, aber die subjektiv empfundene „Superhelden-Monotonie“, Remake- und Fortsetzungsschwemme macht es absurderweise für deutsche Produzenten nicht leichter. Ich glaube, das deutsche Kino sollte sich genau fragen, welche Alleinstellungsmerkmale es im Vergleich zur nicht-deutschsprachigen Konkurrenz und zu anderen Bewegtbildangeboten für sich herausarbeiten kann. Diese Alleinstellungsmerkmale sind aber meiner Meinung nach vorhanden und ich glaube auch nicht, dass dort nur eine Nische auszumachen ist.
Für das Fernsehen möchte ich das nicht so sehen. Zwar sind die modernen Qualitätsserien zurecht in aller Munde und Stadtgespräch. Andererseits hat der 90-Minüter, eine sehr deutsche Ausprägung des Fernsehens, nichts an Popularität verloren. Auch in der quantitativen Bildschirmpräsenz hat er nicht wesentlich nachgelassen. Nach wie vor entscheiden sich viele Zuschauer für diese Form des abgeschlossenen Erzählens, um sich an einem Abend gut unterhalten zu lassen. Entscheidend wird sein, dass Themen und Form des 90-Minüters sich immer wieder erneuern, um den Zuschauer zu überraschen und zu fesseln. Mit den von Sendern vorgegebenen Formatvorgaben sollte man spielerisch umgehen. Die erzählerischen Themen werden in diesen bewegten Zeiten bestimmt nicht ausgehen. Interessant wird aber auch die Frage, ob sich die jüngere Generation, die diese Sozialisation über den 90-Minüter nicht mehr so erfährt, auch in Zukunft auf dieses Format einlassen wird.

Alles schielt derzeit auf Netflix und seine nicht enden wollende Serienwelt mit diversen Nischenproduktionen. Jeder spricht davon, zuverlässige Zuschauerzahlen gibt es jedoch nicht. Ist das der Durchbruch gegen das Quotenfernsehen? Und verändert dieser Hype auch das Produzieren hierzulande?
Das hat es schon getan. Das ist das Gute an Konkurrenz.Wenn man nicht untergehen möchte, muss man reagieren. Gute deutsche Serien wie etwa „Dark“, „Das Boot“, laufen ja nicht nur bei Bezahlsendern, sondern wurden auch von traditionellen linearen Sendern entwickelt („Bad Banks“, „Das Parfum“, „The Team“). Das wäre ohne diese Konkurrenzsituation eventuell nicht geschehen. Sehen Sie, Kreativität ist ein bisschen wie fließendes Wasser. Wasser fließt dahin, wo sich der Raum anbietet und passt sich auch diesem Raum an – und verändert ihn gleichzeitig.
Aus rein produzentischer Sicht verändern sich in erster Linie zwei Dinge. Angesichts des höheren Outputs an Formaten steigt der Wettbewerb um die kreativen Ressourcen, also Autoren, Regisseure, Darsteller, etc. Dieser Druck erhöht sich insofern noch, da sich zurzeit eine Politik der Streaminganbieter ausbreitet, besondere Talente exklusiv direkt an sich zu binden. Ein weiterer Aspekt aus Sicht der Produzenten sind die relativ hohen Entwicklungskosten für hochpreisige Serien. Damit steigt nicht nur das finanzielle Risiko der Produzenten. Diese Entwicklung befördert auch eine Konzentration der Märkte zu Ungunsten kleinerer unabhängiger Produzenten. Auf jeden Fall konnten deutsche Kreative in den letzten zwei, drei Jahren zeigen, dass ihre Beiträge international konkurrenzfähig sind. Allein das ist doch schon eine tolle Entwicklung.


"Deutschstunde“ nach Siegfried Lenz
Foto: Network Movie


Ist die Interaktivität bei Serien, wie etwa bei „Black Mirror Bandersnatch“, nur ein Gimmick oder die Zukunft?
Ich trau mir nicht zu, Aussagen zu machen, die einen Horizont von fünf bis sechs Jahren überschreiten. In diesem Rahmen ist Interaktivität sicherlich eine interessante Alternative, nicht nur für Zuschauer, die aus dem Gaming-Bereich kommen. Interaktives Fernsehen kann für das Publikum extrem spannend sein. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Entwicklung ein Mainstream wird. Zum einen werden auch in Zukunft noch viele Zuschauer beim Fernsehen die passive Entspannung nach einem langen Arbeitstag suchen. Darüber hinaus ist aber auch das Produzieren solcher interaktiven Formate extrem teuer. Man muss ja physisch mehrere alternative Szenarien produzieren. Man sollte nicht unterschätzen, wie die gängigen Geschäftsmodelle die Inhalte mitbestimmen. Angesichts der sich beschleunigenden technischen Entwicklungen bin ich aber sicher, dass in einem größeren Zeitrahmen Gaming- und Fictionindustrie weiter zusammenwachsen werden und diese Form des Entertainments zu einem konkurrenzfähigen Preis angeboten werden kann. Ich glaube, in diesem Zusammenhang werden wir mehr Interaktivität erleben. Wenn es dann auch noch erzählerisch befriedigend ist – wunderbar.

Hat das lineare Fernsehen schon ausgespielt?
Nein, das glaube ich ganz und gar nicht. Lineares Fernsehen kann Dinge leisten, die nonlineares Fernsehen nicht leisten kann und umgekehrt. Die Frage wird wohl vielmehr lauten, wieviel Fernsehen will sich der Zuschauer leisten. Die Zeit- und Geldschere spielt bei den Zuschauerentscheidungen ja immer eine wichtige Rolle. Solange lineares Fernsehen in einem anständigen politischen und finanziellen Rahmen arbeiten kann, in dem es sich immer wieder inhaltlich neu erfinden kann und nicht erstarrt, wird der Zuschauer auch Interesse daran zeigen und diese Entscheidung positiv treffen. 

Immer öfter werden TV-Filme oder auch Kinofilme von öffentlichen Diskussionen begleitet. Im Fernsehen gibt es nach der Ausstrahlung Diskussionsrunden oder ergänzende Reportagen, im Kino stellen sich Darsteller und Team dem Publikum. Ist das ein Rezept gegen die Streaming-Riesen?
Das ist sicherlich eine Stärke des linearen Fernsehens, auf die man als Abgrenzungsmerkmal setzten kann. Aber, ich denke, diese Strategie ist nicht für jedes Programm geeignet, sondern eher auf Leuchtturmprojekte beschränkt. Ich würde die Frage also etwas ausdehnen um den Aspekt, wieviel Leuchtturmprojekte leistet sich lineares TV und wen will es damit ansprechen. Es geht ja nicht nur um Erfolg im Sinne von Reichweite, sondern auch um Image und Aufmerksamkeit, und um das Zutrauen, im Wettbewerb eine gute Position zu erlangen und sich weiter zu entwickeln. Ähnlich ist es ja auch in der deutschen Kinobranche.

Interview: Rüdiger Schmidt-Sodingen

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