In diesem Februar liegt die durchschnittliche Spieldauer unserer Kinostarts bei 105 Minuten. Der Ausreißer nach unten: „Feuerwehrmann Sam – Pontypandys neue Feuerwache“ mit 50 Minuten Laufzeit. Die (äußerst lohnenswerten) Ausreißer nach oben: „Der Brutalist“ (215‘) und „Henry Fonda For President“ (184‘). Viele Besucher:innen rollen mittlerweile mit den Augen, wenn wieder ein Film in Überlänge auf die Leinwand geworfen wird. Streaming-Anbieter sortieren ihre Filme inzwischen in Kategorien ein wie: „Filme unter 90 Minuten“. Was ist dem Publikum also heutzutage überhaupt noch zuzumuten?
In Zeiten von TikTok und allgemeinem Aufmerksamkeitsdefizit wagt man den Menschen ja gar nichts mehr zuzumuten. Andererseits bildet Feuerwehrmann Sam mit seinem 50-Minuten-Einsatz eher die Ausnahme: Animationsabenteuer wie „Die Unglaublichen“ kratzen ebenso an der Zwei-Stunden-Marke wie Löwenkönig Mufasa. Und die Erwachsenen? Wenn denen mal ein Film nicht behagt, überbieten sie sich darin, lebenszeitraubend über den Verlust wertvoller Lebenszeit zu klagen. Auf jeden Fall wird uns viel entgehen, wenn wir Filme zuvorderst ihrer Länge nach aussuchen. Überlänge ist ja kein Novum – episches Kino und Monumentalstreifen werden vor der Leinwand seit der Stummfilmzeit gefeiert. Wer vier Stunden im Kino gebannt wird, sieht seine Freizeit lohnend investiert. Vor allem in einer Stätte, die nicht ablenkt und Fokus bietet. Intensiver kann man einen Film, mitunter gar Lebenszeit nicht erleben.
Trotzdem kommt es natürlich nicht auf die Länge an: „Dahomey“ gewann die letzte Berlinale mit einem Laufpensum von 68 Minuten und beweist Würze in der Kürze. Die Lauflänge eines Films ist also nicht spielentscheidend. Wohl aber herausfordernd für die Disposition – „Dahomey“ war für die Kinos unbequem zu programmieren, denn abendfüllend sollte ein Kinofilm möglichst sein, darauf sind die Spielstätten ausgelegt. Was tun? „Dahomey“ einfach zweimal hintereinander zeigen? Kreativität ist gefragt. Unser greiser Erdkundelehrer wusste dereinst die Schulstunde mitunter damit zu füllen, seine 16mm-Unterrichtsfilme zweimal zu zeigen – einmal vorwärts, einmal rückwärts. Damals hatte sich niemand über verlorene Lebenszeit beschwert.
Egal: Ob 50, 68 oder 215 Minuten – schlussendlich geht es doch bloß um eines: Es darf nicht langweilig werden im Kinosessel! Folglich können vier Stunden kurzweiliger sein als sechzig Minuten. Wenn wir gebannt sind, wenn wir dem Sog der Leinwand erliegen – und wenn uns das Umfeld nicht ablenkt und aus dem magischen, zeitvergessenen Bann herausholt, weil Sitznachbarn ständig auf Handy oder leuchtende Armbanduhr schauen, so wie das gehetzte weiße Kaninchen aus „Alice im Wunderland“, das keine Zeit hat für nichts. Zuschauer, die nicht zuschauen, die nichts verpassen wollen und dabei alles verpassen. Es liegt am Betrachter selbst, sich der Geschichte hinzugeben, die einem der Projektor erzählt. Ein Geschenk, wenn in derlei guter Zeit die Zeit mal keine Rolle spielt.
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