Ein wenig hatte man sich ja schon gewundert. Inmitten von deutschen Kriegstötungen und sich verschärfenden sozialen Antagonismen fällt deutschen Musikanten nichts Besseres ein, sich die Sicherheit der Zweierbeziehung als Gegengift zur „Welt, in der nichts bleibt“ zu wünschen. Da ist es ganz erholsam, wenn mal jemand den Finger in die Wunde legt. „Der Sommer, der gehört ganz uns, der Sommer der Transferleistung / Der Sommer auf der Straße, der Sommer nach der Krise / Eiscreme & Sonnenöl – Leiden wird wieder schön“ deklamiert Peter Hein, Sänger der Düsseldorfer Fehlfarben auf der neuen Platte „Glücksmaschinen“. Die Glücksmaschinen sind übrigens nicht die anderen, sondern die Generation von Hein, die sich nach Jahren der idealistischen Jugend inklusive Punk-Vergangenheit mittlerweile im Eigenheim wiederfindet. Was vielleicht ein Statement für die ganze Platte ist. Denn so pointiert Sound und Songwriting von „Glücksgefühle“ sind, so sehr finden die Protagonisten von Peter Heins Texten keinen Ausweg aus dem ganzen Schlamassel, das jeden Tag auf sie einzuströmen scheint. Und spätestens wenn MySpace, Facebook und Konsorten als Anlass zur großen Kulturklage dienen, bleibt der unangenehme Eindruck zurück, dass sich hinter den wundervollen Anekdoten nur das Unbehagen des alten Mannes ob einer Welt, die er nicht mehr versteht, verbirgt.
Für eine politische Praxis ist solch ein diffuses Unwohlfühlen letztendlich wenig hilfreich. Das Kölner Projekt „Play Gender“ ergreift andere Maßnahmen, weil im Mittelpunkt seiner Arbeit ein konkretes Missverhältnis steht. Obwohl die Auflösung von Geschlechtergrenzen in Richtung Androgynität zum kleinen Zeicheneinmaleins von Pop gehört, ist die Rolle von Frauen meistens auf den anhimmelnden Fan oder die attraktive Frontfrau begrenzt. „Play Gender“ setzt dagegen auf konsequente Selbstermächtigung. Nicht nur treten DJs, Elektronikproduzentinnen oder Songwriterinnen als Rollenvorbilder auf, sondern wurden immer wieder von Workshops zu Homophobie oder anderen lebensweltlichen Themen flankiert – Kultur „von unten“, wenn man so will.
Im Ruhrgebiet ist dagegen alles in Butter. Zumindest wenn man den Überschriften zur Eröffnung der Kulturhauptstadt RUHR.2010 folgen will. Vor Ort ist die Lage ein wenig unübersichtlicher. Nicht nur die bei der Projektauswahl Übergangenen äußern gelegentlichen Unmut, sondern auch Partyveranstalter oder DJs, die jahrelang in der Region tätig sind. Das Problem: Im Rahmen von Ruhr2010 wird ihre Tätigkeit als „Kreativwirtschaft“ neu definiert. Nicht mehr das klassische Emanzipationsversprechen von Pop auf Freiräume steht im Mittelpunkt, sondern seine ökonomische Verwertbarkeit. Was bedeutet, dass man sich solche Räume abseits der Kulturhauptstadt erschließen will, zum Beispiel durch spontane Partys oder Nachttanzdemos – als Selbstermächtigung, die Tradition hat.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24
Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24
Experimentell und innovativ
3. New Colours Festival in Gelsenkirchen – Improvisierte Musik in NRW 09/24
Immer eine Uraufführung
4. Cologne Jazzweek – Improvisierte Musik in NRW 08/24
Ein Abend für den Duke
Jason Moran und die hr-Bigband in Duisburg – Improvisierte Musik in NRW 07/24
Musikalische Eröffnung der EM
Bundesjazzorchester mit Tom Gaebel in Dortmund und Köln – Improvisierte Musik in NRW 06/24
Verschiedene Welten
Drei Trompeter besuchen das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 05/24
Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24
Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24
Kleinstes Orchester der Welt
„Solace“ in der Friedenskirche Ratingen – Improvisierte Musik in NRW 02/24
Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24
Sturmhaube und Ballonmütze
Gregory Porter in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 12/23
Balladen für den Herbst
Caris Hermes Quintett in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 11/23
Wonnemonat für Fusionfans
Drei E-Gitarren erobern das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 10/23
Funk und Soul mit fetten Sounds
„Tribute To Curtis Mayfield“ in der Kölner Philharmonie – Improvisierte Musik in NRW 09/23
Das Trommel mal ganz vorne
„Schlagzeugmarathon“ in Essen – Improvisierte Musik in NRW 08/23
Bird with Strings
Karolina Strassmayer in Essen – Improvisierte Musik in NRW 07/23
Tüchtige Kellerkinder
Subway Jazz Orchestra feiert zehnten Geburtstag – Improvisierte Musik in NRW 06/23
John Scofield allein zu Haus
Der große Gitarrist in Oberhausen – Improvisierte Musik in NRW 05/23
David Murray auf Hochtouren
„International Jazz Day“ auf Burg Linn – Improvisierte Musik in NRW 04/23
Es klingelt das Vibraphon
Wolfgang Lackerschmid im Jazzkeller Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 03/23
Sisters in Jazz
Cæcilie Norby und Band in Bad Hamm – Improvisierte Musik in NRW 02/23
Je bunter, umso besser
„Die Verwandlung“ in Wuppertal, Köln und Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 01/23
Den Eisbär im Programm
JugendJazzOrchester NRW im Stadtgarten Köln – Improvisierte Musik in NRW 12/22
Ein Klangträumer an den Tasten
Michael Wollny Trio in Düsseldorf und Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 11/22