Der Fachkongress SoundTrack_Cologne (23.-26.8.) und das an ein breiteres Publikum gerichtete Filmfestival See the Sound fanden diesmal – trotz voller Hotels – parallel zur Gamescom statt und stellten „in bestimmter Weise auch ein Rahmenprogramm für die Gamescom“ dar, so Festivalgründer Michael P. Aust. Die Grenzen zwischen Filmmusik und Musik für Computerspiele verschwimmen heute vor allem in den USA, wo Komponisten wie Christopher Lennertz, Michael Giacchino oder Disasterpeace entweder beides machen oder zuerst im Gamingbereich auf sich aufmerksam gemacht haben. Schon in den Vorjahren war Musik für Games bei SoundTrack_Cologne ein Thema gewesen. Der Kongress bot daher auch „viele Themen, die mit der Gamescom zu tun haben“, so Aust. „Games sind besonders für junge Komponisten wichtig und auch eines unserer erfolgreichsten Konferenzthemen.“
Bei See the Sound spiegelte sich das allerdings noch nicht wieder, wenn auch „Tokyo Idols“, „Raw Chicks.Berlin“ oder „LeFtO – In Transit“ auf ein Techno- oder Popkultur-affines jüngeres Publikum abzielten. Aust selbst freute sich vor allem, dass „Liberation Day“ und „Revolution of Sound. Tangerine Dream“ (Kinostart: 7.9.) im Programm waren. „Tangerine Dream ist so eine Band, mit der bin ich aufgewachsen.“ Und nicht nur er: Die Vorführung des Films im Filmforum NRW war ausverkauft. „Liberation Day“ gewann am 26. August den See the Sound-Preis für die Beste Musikdokumentation. Die Jury bestand aus Vorjahressieger Yoon-ha Chang („I Go Back Home – Jimmy Scott“), der Filmkritikerin Jessica Düster und der Kölner Regisseurin Nicole Wegner.
Das genreübergreifende Filmprogramm – darunter neun deutsche Premieren – zeichnete sich durch eine hohe Qualität und interessante Themen aus, die über Musik hinausgingen. Musikfreunde hatten es sicher nicht leicht, sich zwischen Filmen zu entscheiden, die an unterschiedlichen Orten (Fritz Thyssen Stiftung – Innenhof und Auditorium –, Touristarama, Filmforum, MAKK) gleichzeitig oder kurz nacheinander begannen. Dabei erfreuten sich Open-Air-Vorstellungen besonderer Beliebtheit, und die Fritz Thyssen Stiftung mitten im Zentrum als zentraler Ort bewährte sich bei sommerlichen Temperaturen schon durch ihren gepflegten Innenhof inmitten sanierter Nachkriegs-architektur.
Kathrin Häger, die Kuratorin des Filmprogramms, hat jedes Jahr ein Auge auf die Berlinale und Filmfestivals weltweit. Bei der Auswahl für See the Sound sei die Vorgabe der „starke musikalische Impetus: dass mit Musik besonders umgegangen wird oder dass es um ein musikalisches Thema oder um Musiker geht“. Es seien aber auch immer politische Filme zu sehen – wie der von Aust als „ziemlich abgefahren“ bezeichnete Film „Liberation Day“ über die slowenische Musikgruppe Laibach, die im abgeschotteten Nordkorea ein Konzert gegeben hat, oder der Konzertfilm über ein US-Trio, „Give Me Future: Major Lazer in Cuba“ sowie einfach berührende Filme wie „Once More Time With Feeling“ über Nick Cave, der bei Albumaufnahmen den Tod seines Sohnes verarbeitet. (Beide Nick-Cave-Vorstellungen waren ausverkauft.) Ihr selbst hat es neben „American Honey“ und der dänischen Jazz-Doku „Cool Cats“ vor allem „Bunch of Kunst“ angetan: Die Doku über die britische Band Sleaford Mods transportiere eine Kapitalismus-Kritik und gebe kraftvoll Einblick in die gesellschaftliche Situation in Großbritannien. Der Film von Christine Franz, der kürzlich in einigen deutschen und britischen Kinos lief, ist noch bis 10. September in der arte-Mediathek abrufbar.
In den Workshops konnten Besucher in diesem Jahr von internationalen Diskussionsgästen, darunter die Film- und Fernsehkomponisten Jeff Rona („Powers“, „Chicago Hope“, „Homicide“), Michael Price („Sherlock“), Hauschka („Lion – Der lange Weg nach Hause“), Johnny Klimek und Lesley Barber („Manchester by the Sea“), eine der wenigen Frauen, die sich in der Branche einen Namen machen konnten, vieles über das technische Handwerk und das aktuelle Geschäft des Musik- und Soundproduzierens lernen. Ein dringliches Thema für viele Anwesende blieben Urheberrechts- und Verwertungsfragen. So müssen die von Spieleherstellern pauschal bezahlten Game-Komponisten (hier vertreten durch Petri Alanko, Bobby Tahouri und Gareth Cocker) immer noch damit leben, dass die Nutzung ihrer Musik keinerlei Nachvergütung auslöst.
Gibt es denn Fortschritte gegenüber dem Vorjahr? „Das geht immer ganz, ganz vorsichtig“, sagt Aust, der demnächst mit einem Generationenwechsel in den Aufsichtsräten rechnet. „Es müssen Lösungen gefunden werden, wenn die GEMA sich auch ins nächste Jahrtausend weiterbewegen will.“ Dabei helfe es, dass die eingeladenen Vertreter von Verwertungsgesellschaften wie GEMA und ASCAP vor Ort jedes Jahr ein „Meinungsbild“ erhielten.
Auch um ein stärkeres Selbstbewusstsein der Branche gehe es beim Kongress, wie Aust in einer Eröffnungsrede erklärte: „Medienmusik wird als Schmuddelkind der Musik angesehen. Wenn wir institutionelle Geldgeber kontaktieren, werden wir immer noch mit der Idee konfrontiert, dass diese Art Musik kommerziell und nicht förderungswürdig sei, dass sie nicht auf eigenen Beinen stünde.“ Dabei würden viele Musiker und Orchester von der Musik leben und es würde musikalisch experimentiert. Eine Verbesserung schaffen könnten laut Aust neben eigenen Statistiken internationale Bündnisse und eine koodinierte Agenda für Medienmusik. John Groves vom Composers Club rief die Anwesenden dazu auf, sich stärker für die finanzielle Seite ihrer Tätigkeiten zu interessieren und sich selbst gemeinsam mit anderen besser zu präsentieren.
Den Ehrenpreis erhielt in diesem Jahr der erfolgreiche, aber nicht mit Filmpreisen verwöhnte Hollywood-Komponist Bruce Broughton (72), dem kaum ein Genre und Format fremd ist und der neben Disney-Produktionen die Musik zu „Silverado“, „Tombstone“ und „Young Sherlock Holmes“ schrieb sowie die Titelmusik zu den Serien „JAG“, „Die Dinos“, „Tiny Toon Adventures“ und der neuen, von „Star Trek“ inspirierten Serie „The Orville“. In der Laudatio sagte sein französischer Kollege Jean-Michel Bernard: „Für mich zählt Bruce zum kleinen Kreis der ‚Hollywoodgrößen‘ wie zum Beispiel Jerry Goldsmith, Alex North, Lalo Schifrin und John Williams. Da sind natürlich ‚Silverado‘, ‚Das Geheimnis des verborgenen Tempels‘, ‚Heart of Darkness‘ und so viele andere Scores, deren Gemeinsamkeit fehlerlose Qualität und Präzision ist.“ Am Vortag hatte Broughton sich von Filmjournalist Daniel Kothenschulte ausfragen lassen.
Der Peer Raben Music Award für Musik in einem Kurzfilm ging an Martin B. Janssen für seine Musik zu „Still“. „Berlin Live“ erhielt den Preis für die Beste Deutsche Livemusik-TV-Sendung.
Wieder konnten Komponisten mit Musik für einen vorgegebenen Kurzfilm einen Nachwuchspreis gewinnen. Gewinner des WDR Filmscore Awards wurde der Franzose Thomas Chabalier, lobende Erwähnungen gingen an Emer Kinsella und Jessica Kelly. Letztere hatte für den Film einen Song geschrieben. „Eine Entdeckung“, hieß es von Seiten des Programmteams auch mit Blick auf den Gesang. „Der Idee eines Songs sind wir mit Zweifeln begegnet, aber am Ende waren wir berührt und beeindruckt.“ Auch das Publikum war gerührt, als die in Edinburgh lebende Britin zusammen mit Victoria Dewavrin bei der Preisverleihung ihren Song mit Klavierbegleitung vortrug.
Die nächste SoundTrack_Cologne findet vom 22. bis 25. August 2018 statt.
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