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Jack Wall („Mass Effect II“, „Call of Duty – Black Ops II-IV“)
Foto: Ed Rode

„Ich mag es nicht, nein zu sagen“

30. August 2019

Komponist Jack Wall bei SoundTrack Cologne – Interview 09/19

choices: Herr Wall, können Sie mir einen Überblick über ihre Karriere geben? Denn Sie haben ja eigentlich Bauingenieurswesen studiert und das klingt erstmal nicht nach der Ausbildung eines professionellen Musikers.

Jack Wall: Ja, das stimmt, aber ich denke, dass Musik und Technologie und Mathematik sehr nah verwandt sind. Ich kenne viele Leute, die einen technischen Hintergrund haben und dann in der Musik arbeiten. Ich habe an der Universität einen Abschluss als Bauingenieur gemacht und danach in dem Bereich gearbeitet, aber irgendwann habe ich mich desillusioniert gefühlt. Ich hatte keine Leidenschaft für den Beruf, also habe ich mir ein Jahr genommen, um herauszufinden, was ich machen wollte. In der gleichen Zeit hatte ich auch eine Band und als wir für unser erstes Album ins Studio gingen, habe ich mich in den Aufnahmeprozess verliebt. Das war quasi der Anfang meiner Karriere als Toningenieur und von da wurde ich dann Mixer, Produzent, Arrangeur und schließlich Komponist. Nach circa acht Jahren bekam ich dann über Freunde die Möglichkeit an einigen Spielen zu arbeiten und seitdem hab ich nichts anderes mehr gemacht. Jetzt, nach 25 Jahren, arbeite ich auch ein bisschen an Film und Fernsehen, aber ich will einfach weiter Soundtracks schreiben.

Wenn Sie an einem Spiel arbeiten, sind Sie kein fester Teil des Entwicklungsstudios. An welchem Punkt der Entwicklung werden Sie dann üblicherweise hinzugezogen?

Genau, ich habe die ganze Zeit über unabhängig gearbeitet. Es variiert. Aber einige Studios mögen es, mich früh mit einzubeziehen, damit ich früher Sound und Musik beisteuern kann und eine bessere Vorstellung davon bekomme, was wir am Ende erreichen wollen. Ich finde, je früher desto besser, einfach weil ich gerne experimentiere und richtig in das Design, die Hintergründe und die Figuren des Spiels eintauche. Ich will darin eine Zeit lang schwimmen, bevor ich anfange, etwas zu schreiben. Es kostet das Studio nicht mehr Geld, wenn ich früher anfange.

Jack Wall
Foto: Presse
Zur Person
Jack Wall studierte eigentlich Bauwesen und arbeitete zuerst als Toningenieur für Trent Reznor, RuPaul und John Cale. Durch seine spätere Ehefrau kam er zur Games-Industrie und hat dort u.a. mit „Mass Effect 2“ und „Call of Duty – Black Ops 4“ Soundtrack-Geschichte geschrieben. Jahrelang war er außerdem als Dirigent von „Video Games Live“ auf der ganzen Welt unterwegs.


Wie sieht denn Ihr kreativer Prozess aus, wenn Sie an einem Soundtrack arbeiten?
Ich will den Umfang des Spiels verstehen und wie die verschiedenen Level und Bereiche miteinander zusammenhängen. Dann identifiziere ich die Hauptthemen, die ich schreiben möchte, und berate mich mit dem Audio-Team: Welche Themen brauchen wir auf jeden Fall und wofür werden diese Themen genutzt? Fürs Marketing oder als identifizierbare, musikalische Signatur, die wir dem Spiel geben können? Dann geben sie mir meist einen Trailer, den ich vertonen soll, und aus dieser Schreiberfahrung ziehe ich zwei, drei Sachen, die wir weiter nutzen wollen. Es geht also darum, eine Art Skelett aus diesen Melodien zu bauen und dann die Lücken zu füllen. Wie kommen wir von diesem zu jenem Punkt, was sind die Tonfarben in dieser Umgebung und wer sind die Charaktere? Ich liebe es, ein Leitmotiv zu nutzen, weil man diese unvergesslichen Melodien hat, zu denen man immer wieder zurückkehren kann. Und sobald man das hat, geht es wirklich darum, etwas einzubauen, das dem Sound eine Signatur verleiht, nicht nur musikalisch, sondern auch klangtechnisch. Ist sie eher orchestral oder elektronisch oder eine Mischung aus beidem? Wenn ein Level fertig programmiert ist, gehe ich eine Videoaufnahme davon mit dem Audio-Regisseur durch: Wo soll die Musik hin, was soll sie hier erreichen? Wir entscheiden die Tonalität, wie intensiv sie ist und auch den emotionalen Inhalt, den sie haben muss. Nur wenn ich weiß, wie sich die Emotionalität eines Levels von Beginn bis Ende entwickelt, kann ich eine Erfahrung für den Spieler schaffen.


Jack Wall in der Fritz-Thyssen-Stiftung, Foto: David Savelsberg

Wie sorgen Sie dafür, dass die Tracks im Spiel ineinander fließen?

Wenn die Musikstücke fertig sind, liefere ich die nicht nur als MP3 ab, sondern auch als Stems. Die kann das Entwicklerteam dann auseinanderbrechen, neu mixen und bearbeiten wie sie wollen und so eine Klangbrücke zwischen den Tracks herstellen. Dadurch klingt dann alles wie eine durchgängige Musiklandschaft. Zu Beginn meiner Karriere dachte ich, da wir Komponisten pro fertige Minute bezahlt werden, ich müsste das alles selbst machen und mehr Musik schreiben. Aber jetzt denke ich, dass weniger mehr ist. Wenn man zu viel Musik hat, ist kein Stück unvergesslich. Denn diese wichtigen Motive sind die, die man wirklich immer und immer wiederverwenden will. Natürlich mixt man sie anders und spielt sie auf anderen Instrumenten, aber man wird immer die gleichen Melodien erkennen, das ist wichtig.

Wie läuft das denn technisch ab? Kreieren Sie erst alle Melodien in einer Software?

Ich habe in meinem Studio ein Klavier und oft fange ich dort an. Es kommt ein bisschen darauf an, was ich schreiben will. Wenn es etwas wirklich Emotionales ist, das ans Herz gehen soll, dann nehme ich das Piano, ganz ohne Click-Track oder ähnliches. Das nehme ich dann einfach mit meinem Handy auf und ziehe die Spur in eine Cubase-Sitzung, um darauf aufzubauen. Wenn ich das Klavier einfach in Cubase einspiele, fühle ich mich nicht so verbunden mit der Musik. Am Instrument denkt man nicht an die Aufnahme, man spielt einfach nur. Auch wenn ich kein großartiger Pianist bin, hilft es mir, mich in die Musik hineinzuversetzen. Ich verbinde dann auch selbst mehr mit dem fertigen Stück. Aber wenn es sich eher um einen Actiontrack oder sowas handelt, beginne ich meistens sofort am PC.



Wie lange arbeiten Sie dann an so einem ganzen Soundtrack?

Das kommt ein bisschen darauf an, wann ich an Bord komme und wann das Spiel fertig sein muss, aber bei einem typischen „Black Ops“-Soundtrack fange ich im Oktober an und arbeite an Musik für einen bestimmten Meilenstein, der dann Ende November fertig sein muss. Dann sind meist ein paar Monate Pause, weil die Entwickler noch einmal ans Reißbrett müssen, um alles zu optimieren. Dann fange ich im Februar wieder an zu schreiben, bis Mai oder Juni, damit viel für die E3 fertig ist. Direkt nach der Messe heißt es dann schreiben, schreiben, schreiben und aufnehmen und mixen und dann gebe ich im August alles ab.

Unterscheidet sich dieser Prozess von dem beim Film oder Fernsehen?
Total, weil wir beim Fernsehen nicht über Monate reden, sondern über eine Woche. Man plant meist eine sogenannte Spotting-Sitzung, bei der ich den fertigen Schnitt einer Folge sehe, die noch mit einem temporären Score hinterlegt ist. Nach einer Weile ist dieser vorläufige Soundtrack auch komplett meiner, aber bei der ersten Folge ist alles noch neu. Dann muss ich in sieben oder maximal 14 Tagen etwa 35 Minuten Musik schreiben. Und dann geht der Showrunner alles mit mir durch und sagt: „Oh, das hier mögen wir, das behalten wir“ oder „Kannst du das hier ein bisschen verändern?“ Das ist am Anfang immer schwer, aber mit der Zeit findet man seine Stimme. Trotzdem ist alles sehr hektisch und man macht kaum Aufnahmen. Ich bringe immer ein paar Musiker ins Studio, erarbeite mir damit eine Art Musik-Bibliothek und dann wird daraus die akustische Signatur, die man für alle Folgen benutzt. Manchmal holt man die Musiker dann später nochmal zurück, damit man den Sound etwas auffrischen und verändern kann.

Dieser Fokus auf live aufgenommener Musik ist Ihnen sehr wichtig, oder? Sie haben sich in Ihrem Vortrag bei SoundTrack Cologne selbst scherzhaft als der „Orchester-Typ“ genannt. Ist das etwas, dass sich in der Branche verändert hat, das es jetzt mehr Orchester-Aufnahmen gibt als in den 90ern?
Ja, es wird jetzt eine ganze Menge aufgenommen. Nicht immer, aber wenn es ein größeres Spiel ist, dann wollen die Studios das inzwischen auch. Ein orchestral eingespielter Soundtrack klingt einfach viel besser, als das Meiste was ein Computer produzieren kann. Alles von „Black Ops“ haben wir live aufgenommen, den ersten „Mass Effect“-Soundtrack aber tatsächlich nicht. Das ist fast alles am PC entstanden, mit ein paar Musikern hier und da. Bei „Mass Effect“ war die Anweisung: „Kannst du es wie Tangerine Dreams klingen lassen? Wir wollen diesen 80er Jahre Sci-Fi-Sound.“ Auch „Black Ops“ ist in der Zukunft angesiedelt, also haben wir auch da auf einen elektronischen Sound gesetzt, aber gemischt mit Orchester. Ich versuche immer organische Elemente einzubauen, auch wenn sie elektronisch sind, weil sie die Musik einfach besser klingen lassen.

An was arbeiten Sie gerade?
Ich schreibe gerade tatsächlich nicht. Alle 8 Jahre etwa mache ich eine Kreativpause, um meine Reserven wieder aufzufüllen. Ein neues Projekt beginnt, wenn ich von dieser Reise zurückkomme und dann werde ich wahrscheinlich ein weiteres, großes Projekt im Oktober oder November starten. Ich freue mich darauf wieder zu schreiben, es kommen neue Möglichkeiten auf mich zu und es ist einfach auch wieder Zeit dafür.

Gibt es ein Traumprojekt, das Sie gerne mal vertonen würden?
Ich würde gerne mal wieder mit Ubisoft zusammenarbeiten, das ist eine Weile her. Ich liebe alles, was die machen, die sind so kreativ mit ihren Animationen und Storylines. Sie sind einfach ein sehr geschichtenorientiertes Unternehmen und ich möchte mit meiner Musik auch immer Geschichten erzählen. Außerdem freue ich mich über jedes Fernsehprojekt, weil ich ein Serien-Fanatiker bin. Zum Glück gibt es zwei Shows an denen ich arbeiten werde, die wahrscheinlich später im Herbst losgehen, also könnte es lächerlich stressig werden, aber damit muss mich einfach abfinden. Ich mag es nicht, nein zu sagen.

Sind Sie in diesem Jahr zum ersten Mal bei SoundTrack Cologne?
Ja, und das erste Mal in Köln. Aber letztes Jahr war ich im Urlaub in Mainz und es ist so schön dort mit den Burgen und den Weinbergen über dem Fluss. Es wird nicht so sehr beworben, schätze ich, also wusste ich nicht, was mich dort erwartet. Ich würde gerne mal wiederkommen.

Interview: David Savelsberg

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