Mittwoch, 7. November: Manche sehen die Welt ganz klar schwarz-weiß: „wir“, die „guten“, christlich geprägten Wessies. Da vorne der „böse“ Islam. Barbara Millers Dokumentarfilm „#Female Pleasure“ kommt aus einer anderen Richtung. Er porträtiert vielschichtig fünf starke Frauen aus den fünf Weltreligionen.
Da ist etwa die humorvolle und resolute Deborah Feldman aus einer jüdisch-orthodoxen, chassidischen Gemeinde in New York, die in jungen Jahren mit einem Mann schlafen musste, den sie kaum kannte, und daraufhin schwanger wurde. Sie lebte in einer Welt, in der Frauen auf Gebärmaschinen reduziert werden. Sie beschließt ihre Gemeinde zu verlassen, in der es „kein Wort für Zärtlichkeit gab“ und wo sie von ihrem Großvater lernte, dass „Gott Frauen so kreierte, dass sie zu viele Fragen stellen“. Da ist die Inderin Vithika Yadav, die beschließt, aus Liebe zu heiraten und nicht, wie die meisten, den von den Eltern für sie vorgesehenen Mann. Zwar stößt sie ständig auf das Kamasutra, aber wirklich über Sex oder über Frauenrechte spricht kaum jemand. Sie beschließt, sich fortan für die Rechte der Frau und gegen die Tolerierung von Vergewaltigung einzusetzen: „Ich habe heimlich geweint,“ so die bedrückenden Worte Yadavs. „Sex ist in unserer Gesellschaft ein Tabu. Beim Sex geht es nur um den Mann.“
Die dritte im Bunde ist die lustige japanische Manga-Künstlerin Rokudenashiko, die es – stets lächelnd – wagt, einen künstlichen Abdruck ihrer Vulva machen zu lassen, damit für Aufsehen sorgt und schließlich skurrilerweise wegen „3-D-Unzüchtigkeit“ verhaftet wird. Und das im sonst so hypermodernen Japan, in dem sie tagtäglich von Manga-Pornos, sogar Kinder-Porno-Mangas umgeben ist. Seither spricht sie lautstark über und für das weibliche Geschlecht: „Es lebe die Vagina!“
Da ist die sehr ruhig und besonnen wirkende Doris Wagner, die als junge Frau einem österreichischen Orden, namens „Werk“, beitrat. In der Hoffnung, Gott nahe zu sein und Frieden zu finden, wollte sie Ordensschwester werden. Doch das Gegenteil geschah: Statt Liebe zu erfahren, wird Wagner von einem Pater sexuell missbraucht, von ihrem Orden als Frau untergeordnet und kontrolliert. Ihr Leben scheint vorbei zu sein, beinahe denkt sie über Suizid nach, bis sie aussteigt und beschließt, statt den Schritt über den Balkon, jenen in die ach so böse Welt da draußen zu wagen. Sowie die ursprünglich aus Somalia stammende Leyla Hussein, die, in London lebend, als Kind beschnitten wurde und heute über das schreckliche, für Frauen traumatische Thema Genitalverstümmelung mutig und offen spricht und aufklärt: „Genitalverstümmelung ist sehr wohl ein sexuelles Gewaltdelikt“, so Hussein, die sich ebenfalls über den Mythos um den ständigen Orgasmus der Frau beim Geschlechtsverkehr mit einem Mann lustig macht. „Alles Lüge“, lacht die soziale Aktivistin und Psychotherapeutin.
Was diese Frauen eint, ist ihr Humor, ihr Mut und ihr bewundernswerter Optimismus, mit dem sie mit Tabus brechen und nicht mehr schweigen. Auch, wenn sie Fürchterliches erfahren haben oder denunziert werden. Deborah Feldman etwa, die mit ihrem Sohn Jahre später durch ihre einstige konservative Community fährt, wird Verrat vorgeworfen. Gar von einem zweiten Holocaust ist die Rede, nur weil sie es wagte, einer frauenfeindlichen Gemeinschaft den Rücken zu kehren und sich ihrer eigenen Bildung zu widmen, statt Bruthenne für die dortigen Männer zu sein. Und selbst wenn dabei Strafen drohen: wie etwa Rokudenashiko, die immer noch lächelnd ihren Prozess antritt.
„Was diese Frauen verbindet, ist, dass sie alle dämonisiert werden, nur weil sie Frauen sind“, sagt die Schweizer Regisseurin Barbara Miller, die bereits in ihrem Film „Forbidden Voices“ Frauen eine internationale Stimme verlieh, im anschließenden Film-Talk im Odeon-Kino. Die Dokumentation zeigt, dass alle Frauen unterschiedlichster Religionen und Abstammungen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, will aber auch Hoffnung wecken. Feldman beschließt ihrer Heimat der USA den Rücken zuzukehren, da sie dort nicht die Form von Unterstützung erfuhr, die sie sich wünschte. Mittlerweile lebt sie in Berlin, schrieb sogar zwei Bücher zu dem Thema: „Unorthodox“ und „Exodus: A Memoir“. Auch Doris Wagner schrieb sich mit einem Buch „Nicht mehr ich: Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau“ über ihre beklemmenden Erfahrungen im katholischen Orden, frei, lebt heute glücklich mit Mann und Kind. Rokudenashiko, die verurteilte „3-D-Vagina-Künstlerin“, lernt durch den Rummel um ihren aberwitzigen Prozess einen echten Fan kennen, der sie und ihre Vagina wohl so liebte, wie sie sind. Beide verliebten sich ineinander. Vithika Yadav heiratete aus Liebe und lebt seither glücklich und selbstbestimmt mit ihrer Familie, die sie sich selber aussuchte, zusammen.
„#Female Pleasure“ macht aber noch mehr deutlich: Mechanismen der (Hyper-)Sexualisierung und Unterdrückung gibt es in allen Kulturen und Religionen. Und dass auch im ach so sichereren, aufgeklärten, gleichberechtigten Westen durchaus stets noch immer Sexismus herrscht. So hagelt es beim Podium-Talk der Regisseurin mit Dr. Ursula Sautter, der stellvertretenden Vorsitzenden des UN Women Nationalen Komitees Deutschland e.V. und der Moderatorin, Lena von Seggern vom Diakonischen Werk Bonn, regelrecht Kommentare des berührten Publikums: Sei es selbst erlebte vorgetäuschte Orgasmus, die niemals wirklich kritisch hinterfragte Einnahme der Pille, die bisweilen die Libido senkt, oder andere Erfahrungen und Stigmatisierungen.
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