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Carolin Schmitz, Corinna Belz und Sabine Rollberg im „Wendepunkte“-Gespräch
Foto: Maren Lupberger

Die Freiheit, Filme zu machen

08. Dezember 2016

Corinna Belz bei der LaDOC-Konferenz „Wendepunkte“ in der KHM – Festival 12/16

Was bereits im Februar als angeregte Gender-Diskussion im Nachklang eines Filmgesprächs begann, gipfelt am ersten Dezember-Wochenende in einer mehrtägigen Konferenz. Unter dem Titel „Wendepunkte“ lud das Frauenfilmnetzwerk LaDOC in die Aula der Kunsthochschule für Medien (KHM), um über Arbeitsbedingungen und -biografien von Frauen im Dokumentarfilmbereich zu sprechen. Es ging um Produktionskonditionen, Quoten und vor allem um das Selbstverständnis von Filmemacherinnen.

Als LaDOC im Februar Helke Sanders Film „Befreier und Befreite“ über Massenvergewaltigungen Ende des Zweiten Weltkriegs zeigte, kamen lediglich zwei Männer (von denen einer noch während der Vorstellung den Saal verließ). Die Regisseurinnen Carolin Schmitz und Christiane Büchner wunderten sich damals über das „Desinteresse der Männer an dieser Position einer Frau“. Und das, obwohl die Silvesternacht 2015/16 damals noch so präsent war. Am vergangenen Freitag eröffneten die beiden als LaDOC-Mitglieder die „Wendepunkte“-Konferenz, die aus dieser Verwunderung geboren wurde. In Diskussionen, Lesungen, Vorträgen und anhand von Positiv-Beispielen spürten sie Erfolgsfaktoren nach, gesellschaftlich wie individuell.

Ein solches positives Beispiel ist Corinna Belz. Sie ist der erste „Wendepunkte“-Gast vor einem Publikum, das zunächst noch spärlich besetzt ist (Männeranteil: ca. 15%). Ihre Gesprächspartnerinnen Carolin Schmitz und Prof. Dr. Sabine Rollberg, Journalistin und KHM-Dozentin, betonen zu Beginn des Gesprächs, was Belz zur Ausnahmeerscheinung macht: Die Regisseurin („Gerhard Richter Painting“, „Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“) hat es nicht nur geschafft, kontinuierlich Filme zu produzieren und sich mit diesen Filmen einen Namen von tatsächlicher Strahlkraft zu machen. Sie hat sich vor allem auch die Freiheit erarbeitet, ihre eigenen Ideen zu entwickeln und diese auf ihre eigene Weise umzusetzen.

Besonders deutlich wird, dass Belz’ Freiheit auf eine Art Befreiungsschlag – einen ersten Wendepunkt – zurückzuführen ist. Nach ihrem Studium kommt sie beim WDR unter, wenn auch eher zufällig. Dass sie dort ausgerechnet in der Frauenredaktion landet, ist ebenfalls Zufall. In den 90er Jahren erkennt sie schließlich nicht nur, dass diese Redaktion innerhalb des WDR „eine Art Ghetto“ ist, sondern auch, dass die Branche rauer wird. So keimt in ihr mit Anfang 30 erstmals die Vision, lange, „große“ Filme machen zu wollen. Mit viel Ausdauer arbeitet sie an der Umsetzung dieser Vision, sie nutzt ihre Kontakte, ihre Hartnäckigkeit und Sturheit und dreht 1992 ihren ersten Langfilm „Die wirklichen Dinge passieren in der Nacht“. Nachdem sie viele Jahre also etwas produzieren musste, das in das WDR-Sendeschema passt, produziert sie von nun an etwas, das zunehmend in überhaupt kein Schema passt.

„Ich wollte die Freiheit haben einen Film zu machen, bei dem ich sage: Wenn jetzt alle rausrennen, auch gut!“ Das zeichnet sie aus und provoziert eine Nachfrage der Moderatorinnen: Wie konnte sie sich finanziell leisten, ihren eigenen Weg zu gehen? Belz antwortet unumwunden, dass das nur funktionierte, weil ihr Mann während dieser Zeit genug Geld verdiente.

Neben dem „Wie?“ beherrscht ein durchaus kritisches „Warum?“ das Gespräch, von Rollberg auf den Punkt gebracht: Ausgerechnet Corinna Belz als eine der starken Frauen im Dokumentarfilmbereich stehe mit ihren Filmen über Gerhard Richter, Peter Handke und demnächst Hans-Peter Feldmann für Portraits von „großen, alten Männern, die auch ein bisschen sperrig sind und mit denen auch sonst nie so richtig einer zusammenarbeiten wollte“. Was fasziniert sie an diesen Männern? Und warum hat sie keine Frauenportraits gedreht?, fragt eine Zuschauerin. Es sind die Lebensentwürfe, die Belz faszinieren; diese energische Selbstsicherheit und Bestimmtheit in Bezug auf das eigene Können und Wollen, die schon früh in allen drei Männern angelegt gewesen sei. Ihr selbst habe ein solcher Fahrplan gefehlt. Tatsächlich gibt es auch Filme über Frauen von Belz, zuletzt „Drei Frauen, drei Wünsche, ein Jahr“ (2005). Dafür hat sie aber keinerlei Preise verliehen bekommen, war zu keinem Festival oder Gespräch geladen und erhielt insgesamt wenig Resonanz. Symptomatisch? Vielleicht.

Schließlich pochen die Moderatorinnen noch auf Ratschläge, wollen sie auf ein Erfolgsrezept festnageln und scherzen: „Gib was ab von deinem Ruhm!“ Belz tut sich ein wenig schwer mit Tipps, erinnert sich aber, dass regelmäßige Reflexion für sie entscheidend gewesen sei – immer wieder hinterfragen, ob man mit seinen Fähigkeiten am richtigen Ort sei. Dann rät sie noch zu Dickköpfigkeit und Vertrauen in die eigene Intuition. „Wendepunkte“ fungiert hier auch als Schnittstelle zwischen denen, die es geschafft haben, und denen, die noch am Anfang stehen. Viele Studenten sind im Publikum, die KHM ist der richtige Ort für diese Konferenz. Hier wie auch an anderen Filmhochschulen ist das Geschlechterverhältnis noch ausgewogen, später in der Filmbranche dagegen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Es wird wohl noch viele Wendepunkte brauchen, um daran etwas zu ändern. Die LaDOC-Konferenz könnte ein Katalysator sein. Am Ende des Gesprächs ist die Stimmung ausgelassen und angeregt, die Aula hat sich inzwischen gefüllt. Männeranteil: ca. 40%.

Maren Lupberger

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