Man macht sich ja normalerweise keine Gedanken. Man ist es gewohnt, Obdachlosen aus dem Weg zu gehen, hat keinen Einblick in ihr Leben oder ihre Geschichte und ekelt sich in manchen Fällen. Dass das Leben auf der Straße auch eine ganz eigene Würde haben kann, zeigte gestern der Eröffnungsfilm des Frauenfilmfestivals, der Dokumentarfilm „Draußen“ von den KHM-Absolventinnen Johanna Sunder-Plassmann (*1983) und Tama Tobias-Macht (*1982), der vier Männer porträtiert, die in Köln ohne eigene vier Wände auskommen. Er könne und wolle nicht anders, sagt Peter, dessen Söhne und Töchter ein normales Leben führen. Schämen täte er sich nur, wenn jemand, der ihn von früher kenne, heute sähe und wohl nicht verstünde, warum er so lebe. Elvis wohnt unter einer Brücke und legt als ehemaliges Heimkind besonderen Wert auf Ordnung. Moralisch hält er sich an seinem Idol, dem King of Rock’n’Roll fest, der auch seinen persönlichen Stil prägt. Dann gibt es noch Sergio aus Kasachstan, der viele Jahre im Gefängnis verbracht hat und drogensüchtig ist, und Matze, der im Wald lebt und sich im Wesentlichen von Haferflocken ernährt: „Überleben halt, so wie jeder, nur nicht in dem Stil.“ Allen vier geht es im Großen und Ganzen gut.
„Wenn man auf der Straße lebt, muss man wahnsinnig fleißig und wahnsinnig diszipliniert sein“, erklärt Johanna Sunder-Plassmann, die erst einmal das Vertrauen der Männer gewinnen musste. „Wir haben uns sehr lange Zeit genommen. Und es war auch so, dass wir, bei denen, mit denen wir dann den Film gemacht haben, ganz sicher waren, dass sie das auch wollen.“
Man könnte glauben, die urbanen Eremiten seien für den Film einfach interviewt worden. Die Fragestellung drehte sich jedoch um alltägliche Objekte aus ihrem Besitz und um persönliche und gesellschaftliche Identität, erklärt die aus Isreal stammende Tama Tobias-Macht: „Haben sie etwas und hat das eine Bedeutung, oder sind das Sachen, die nur zum Überleben da sind? Wir haben sehr schnell entdeckt, dass es Erinnerungsstücke sind, und wenn man danach fragt, dann kommen interessante Geschichten.“ Sunder-Plassmann, auch als Ausstellungsgestalterin tätig, hat aus den Gegenständen für den Film Installationen hergestellt, die ihnen einen besonderen Stellenwert geben. Die zu „Porträts“ verbundenen Objekte seien, so Tobias-Macht, als eine „visuelle Ebene“ zu den Geschichten wichtig gewesen. Sunder-Plassmann ist am Ende des Films auch als Szenenbildnerin gelistet, die Bildgestalterin ist Sophie Maintigneux. Die Protagonisten Elvis und Matze waren bei der Vorstellung anwesend, Elvis ging auch auf die Bühne und gratulierte den Regisseurinnen zu dem Ergebnis. Dies wird noch einmal am Donnerstag um 16 Uhr gezeigt.
Das Frauenfilmfestival findet bis einschließlich Sonntag statt. Silke J. Räbiger, die es zum letzten Mal leitet, hat in ihrer Zeit einige Fortschritte erlebt. Sie erinnerte an den in Köln vergebenen Deutschen Kamerapreis, dem man den Preis für junge Bildgestalterinnen entgegensetzte. Er sei inzwischen „ein Paradebeispiel für den Einbruch von Frauen in eine komplett männerbesetzte Domäne“. Das sei ein sehr kreativer Beruf in enger Zusammenarbeit mit der Regie. Seit letzten Jahr gebe es nun den Verband CinematographersXX: „Ganz viele dieser Frauen waren bei uns auf dem Festival, haben sich hier kennengelernt, haben hier auch Netzwerke geknüpft.“
Zur #MeToo-Debatte befragt, erklärte sie, dieses altbekannte Thema eben noch nicht durch sei: „Es ist eine Machtfrage, die hinter dieser #MeToo-Debatte steht. Auf der anderen Seite denke ich, ist die Debatte etwas, was wir auch nutzen können, was uns auch Kraft gibt, was auch nochmal deutlich macht: Diese Frage ist keine erledigte Frage. Natürlich ist sie in einem so glamourösen Umfeld wie Hollywood besonders spektakulär, deswegen ist sie auch so an die Öffentlichkeit geschwappt. Aber man kann das ja auf ganz viele gesellschaftliche Bereiche ausdehnen. Frauen werden aus allen Bereichen darüber berichten können.“ Für die Frauen im Filmgeschäft und im Scheinwerferlicht sei es jetzt wichtig zu zeigen, dass sie nicht lockerlassen, und zu sagen: „Wir wollen es nicht länger mitmachen.“
Klaus Kaiser (CDU), Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, sprach von der Erhöhung des Kulturetats um 100 Mio. Euro zwischen 2017 und 2022, gab an, dass zumindest keine Kürzung beim Frauenfilmfestival vorgesehen sei und dass die Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen in Fragen der Gleichberechtigung „natürlich immer voll im Thema“ sei. Man habe die Absicht, die Wirkung von Maßnahmen etwa bei der Gewährleistung von Chancengleichheit im Filmgeschäft regelmäßig zu überprüfen. Das gesondert geförderte Fokus-Thema Diversität mit dem Titel „Über Deutschland“ begrüßte er ganz besonders. „Die Kultur kann für die Demokratie einen ganz wertvollen Beitrag leisten, indem auch Diskussionen eröffnet werden. Ich glaube, das ist ein aktuelles Thema, wo reichlich drüber zu diskutieren ist.“
Die Kölner Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach stellte sich ebenfalls hinter das Festival, das „in Köln schon lange in unserem Filmkultur-Förderkonzept drin“ und somit auch „eine Selbstverständlichkeit“ sei. Das aktuelle Thema Vielfalt ginge Köln auch als Stadt an, in Hinblick auf das Zulassen von Vielfalt etwa in den einzelnen Kultursparten oder der Verwaltung.
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