Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
21 22 23 24 25 26 27
28 29 30 1 2 3 4

12.599 Beiträge zu
3.824 Filmen im Forum

Der Autor David Vann
Foto: Suhrkamp Verlag

Ein Schuss ins Verderben

02. Dezember 2014

David Vann zeigt, wie das Töten alles verändert – Krimi 12/14

Der Elfjährige drückt einfach ab. Zum ersten Mal wird er vom Vater, dem Großvater und einem Freund der Familie zu einem Jagdausflug mitgenommen. Im Jagdrevier der Familie soll ein Hirsch geschossen werden. Aber als die vier das Gelände erreichen, sehen sie in der Ferne einen Wilderer. Der Vater legt das Gewehr auf ihn an, um ihn dem Jungen durch das Zielfernrohr zu zeigen. Womit niemand rechnet, der Junge drückt ab und tötet den Mann mit einem Schuss. Dabei bleibt er vollkommen unbeteiligt, während sich die Bestürzung unter den Männern fast bis zur Panik auswächst.

David Vann schildert in seinem neuen Roman „Goat Mountain“ wie mit der Gewalt archaische Strukturen des Patriarchats ins Wanken geraten. Den Männern wird klar, dass dieser Schuss, das Leben des ganzen Clans verändern wird. Er ist nicht mehr rückgängig zu machen, diese Tatsache realisieren sie nur zögern in ihrer Verwirrung. Dramatische Szenen spielen sich ab, der Großvater versucht den Enkel zu töten, der Vater behandelt den Sohn als eine Unperson und dennoch müssen sich alle ihrer Verantwortung stellen. Ein quälender Prozess, den Vann im Ringen mit der Natur beschreibt. Die Sätze folgen zunächst Schlag auf Schlag, ganz so, wie man sich durch ein Dickicht kämpft. Alle haben die Orientierung verloren. Aber es wartet eine zweite Prüfung auf den Jungen.

Erzählt wird aus seiner Perspektive. Er, der vollkommen der Einsamkeit ausgeliefert ist, wird zum Mann. Einsamkeit als prägendes Attribut der Männlichkeit, das ist in Vanns Roman die bittere, unausweichliche Erfahrung männlicher Initiation. Aus dem Blick des Opfers, der gleichzeitig Täter ist, kommt Sentimentalität gar nicht erst auf, für sie ist kein Platz, wo es nur noch um das nackte Überleben geht. Ein Roman der ganz aus dem Geschehen seiner Tragödie heraus erzählt wird. Ein makelloses Stück literarisches Handwerk, konsequent in seinen quälenden Details gehalten. Zugleich gewinnt Vanns Roman eine archaische Dimension, da er zeigt, wie Zivilisation von einem Regelwerk zusammengehalten wird, das irgendwann als naturgegeben betrachtet wird. Ein Verstoß kann es zum Einsturz bringen, es sei denn, ein Opfer wird gebracht, um das Vergehen wieder auszugleichen. Vanns Prosa findet ihren Platz irgendwo zwischen den verstummenden Heldengestalten eines Ernest Hemingway und den Endzeitdramen eines Cormac McCarthy, spannend, blutig und stets intensiv.

David Vann: Goat Mountain | Deutsch von Miriam Mandelkow | Suhrkamp, 272 S. | 22,95 €

Thomas Linden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

The Accountant 2

Lesen Sie dazu auch:

Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25

Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25

Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25

Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25

Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25

Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25

Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25

Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25

„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25

Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25

Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25

Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25

Literatur.

HINWEIS