choices: Herr Kossiski, die finanzielle Situation in den Kommunen der Region Köln-Bonn ist dramatisch. Woran liegt das?
Andreas Kossiski: Aus meiner Sicht gibt es dafür vier Gründe. Zum Ersten hat die Finanz- und Wirtschaftskrise zu einem Rückgang der Steuereinnahmen und zu Mehrausgaben bei den Sozial- und Transferleistungen geführt. Zum Zweiten haben Bund und Land in den vergangenen Jahren immer mehr Aufgaben auf die Kommunen übertragen, ohne für einen ausreichenden finanziellen Ausgleich zu sorgen. Zum Dritten hat die schwarz-gelbe Bundesregierung mit ihrer bisherigen Steuerpolitik die Einnahmebasis der Kommunen verschlechtert, beispielsweise mit der Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen. Und schließlich: Ein Teil der kommunalen Finanzprobleme ist auch hausgemacht. Das World Congress Center Bonn (WCCB) sei nur als Beispiel genannt.
Wir nennen die KölnMesse und Oppenheim-Esch. Fordert der DGB auch deshalb eine Neuordnung der kommunalen Finanzen?
Die Finanzkrise hat die ohnehin schwierige Finanzsituation der Kommunen nur beschleunigt. Wesentliche Ursache für die desolaten kommunalen Haushalte ist vielmehr, dass die Kommunen zu wenige Steuereinnahmen erhalten. Zudem haben Bund und Länder den Kommunen Aufgaben übertragen, ohne hierfür ausreichend Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Hier muss gelten: „Wer bestellt, muss zahlen“.
Das haben wir schon öfter gehört.
Deshalb brauchen wir eine grundlegende Reform der öffentlichen Finanzen auf allen Ebenen, die zu mehr Transparenz und Gerechtigkeit beiträgt.
Sie behaupten auch: „Kommunen sind systemrelevant“. Das heißt?
Als die Banken am Abgrund standen, hat die Bundesregierung sofort Milliarden Euro zu ihrer Rettung bereitgestellt, weil die Banken systemrelevant seien. Das mag stimmen. Für den DGB sind aber auch Kommunen systemrelevant. Kommunen erbringen pflichtige und freiwillige Aufgaben. Dabei ist längst klar, dass gerade die sogenannten freiwilligen Aufgaben den Kern einer lebenswerten Kommune ausmachen: Kultur, Bildung, Sport, die Förderung von Bürgerengagement und Umweltschutz, Beratungsangebote, öffentlicher Personennahverkehr und noch viel mehr. Mit der kommunalen Finanzkrise besteht die reale Gefahr, dass bei den freiwilligen Ausgaben massiv gekürzt wird. Und wenn das nicht reicht, dann ist das Tafelsilber dran. Das darf gerade mit Blick auf die öffentliche Daseinsvorsorge nicht passieren. Wenn „Heuschrecken“ die Krankenhäuser besitzen, werden sich die Arbeitsbedingungen der dort beschäftigten Menschen zu Gunsten der Gewinne der Kapitaleigner verschlechtern. Wenn „Heuschrecken“ den öffentlichen Personennahverkehr übernehmen, werden unrentable Strecken einfach geschlossen. Wenn „Heuschrecken“ kommunale Wohnungen kaufen, erfolgen entweder Luxussanierungen, so dass sich die Mieter die Wohnungen nicht mehr leisten können, oder in die Wohnungen wird überhaupt kein Geld mehr gesteckt, und sie verrotten.
In vielen Kommunen haben sich Bündnisse gegen die drohenden Kürzungen gebildet.
Allein in Köln gibt es mehrere Bündnisse. Die Wohlfahrtsverbände protestieren gegen Kürzungen im sozialen Bereich. Kulturschaffende gegen Kürzungen im Kulturbereich. Jugendverbände gegen Kürzungen im Jugendbereich. Alle Akteure kämpfen aus ihrer jeweiligen Sichtweise und Betroffenheit für eine lebenswerte Stadt.
Allerdings dürfen die Haushaltsberatungen nicht davon beeinflusst werden, wer mehr Protest auf die Straße bringt. Die unterschiedlichen Interessen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir müssen weg von der ausschließlichen Sicht auf Partikularinteressen, weil dann die Gefahr besteht, dass die Bereiche, die keine starke Lobby haben, zu den Verlierern gehören. Wir brauchen das Leitbild der sozialen und lebenswerten Stadt.
Auch in einer sozialen und lebenswerten Stadt gibt es unterschiedliche Interessen und Lobbys.
Das ist richtig. Aber der Konsens ist notwendig, damit die Stadt nicht auseinanderfällt. Wir dürfen nicht in wilde Verteilungskämpfe um die knappen Ressourcen fallen. Damit ist niemandem geholfen.
Da hilft nur mehr Geld.
Der DGB hat schon Vorschläge für eine Verbesserung der kommunalen Einnahmen unterbreitet: Transaktionssteuer, Reichensteuer, Erbschaftssteuer und die Neuaufteilung der Finanzmittel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu Gunsten der Gemeinden. Aber auch die Kommunen haben Möglichkeiten, ihre Einnahmen kurzfristig zu verbessern. Wir unterstützen beispielsweise die Idee der Kulturabgabe, um die Mindereinnahmen durch die Steuergeschenke an die Hoteliers auszugleichen. Zudem liegen in den nordrhein-westfälischen Kellern noch unglaubliche Schätze. Beispielhaft möchte ich hier titulierte Forderungen von geschiedenen Elternteilen anführen, die ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen sind. Kommunen in Rheinland-Pfalz schon bestehen hier auf der Zahlung dieser berechtigten Forderungen. In NRW schlafen die Kommunen noch.
Mehr Geld, kein Sparkommissar
Frank Hemig (IHK) über Kommunalfinanzen und die Bedeutung der Infrastruktur - Thema 09/10 Jeder Euro zählt
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 1: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 2: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 2: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 1: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 2: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 3: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
„Es liegt nicht am Gesetz, Kriminalität zu verhindern“
Teil 1: Interview – Kriminologe Dirk Baier über Gewaltkriminalität und Statistik
„Prüfen, ob das dem Menschen guttut“
Teil 2: Interview – Publizist Tanjev Schultz über ethische Aspekte der Berichterstattung über Kriminalfälle
„Eltern haben das Gefühl, sie müssten Buddhas werden“
Teil 3: Interview – Familienberaterin Nina Trepp über das Vermeiden von psychischer Gewalt in der Erziehung
„Ernährungsweisen verändern, ohne Zwang“
Teil 1: Interview – Tierethikerin Friederike Schmitz über vegane Ernährung
„Naturschutz wirkt“
Teil 2: Interview – Biologin Katrin Böhning-Gaese über Biodiversität, Wildtiere und Naturschutz
„Sie verstehen uns“
Teil 3: Interview – Tierhistorikerin Mieke Roscher über die Beziehung zwischen Menschen und Tieren
„Was nicht erlaubt ist: Druck ausüben“
Teil 1: Interview – Autor Sebastian Schoepp über Freundschaften
„Bin ich eifersüchtig oder eher neidisch?“
Teil 2: Interview – Paarberaterin Sonja Jüngling über sexuelle Kontakte außerhalb einer Paarbeziehung
„Mit dem ersten Kind nimmt die Ungleichheit zu“
Teil 3: Interview – Soziologe Kai-Olaf Maiwald über Ehe, Familie und Geschlechterverhältnisse
„Mehr Umsatz, mehr Gesundheit“
Teil 1: Interview – Unternehmer Martin Gaedt über die Vier-Tage-Woche
„Das kann man mit keiner Gerechtigkeitstheorie erklären“
Teil 2: Interview – Historiker Marc Buggeln über Steuerpolitik und finanzielle Ungleichheit in Deutschland
„Die Gesellschaft nimmt diese Ungleichheiten hin“
Teil 3: Interview – Soziologe Klaus Dörre über Armutsrisiken und Reichtumsverteilung
„Psychische Erkrankungen haben nichts mit Zusammenreißen zu tun“
Teil 1: Interview – Psychologe Jens Plag über Angststörungen
„Nicht nur ärztliche, sondern auch politische Entscheidung“
Teil 2: Interview – Psychiater Mazda Adli über Ängste infolge des Klimawandels
„Das Gefühl, dass wir den Krisen hinterherjagen“
Teil 3: Interview – Miriam Witz von Mein Grundeinkommen e.V. über Existenzängste und Umverteilung