Mittwoch, 12. April: Das Volk der Tscherkessen, die sich selbst Adygejer nennen, wurde in den letzten 150 Jahren weitgehend aus ihrer Heimatregion im Kaukasus vertrieben und hat sich daraufhin in etlichen Ländern verstreut in der Diaspora niedergelassen, insbesondere in Ländern wie der Türkei, Syrien und Jordanien. Im Bewusstsein vieler westlicher Menschen sind sie deswegen gar nicht präsent. Der tscherkessische Regisseur Askarbiy Nagaplev hat es sich deswegen zur Aufgabe gemacht, insbesondere das Bild und die Rolle der Frauen seines Volkes wieder ins Bewusstsein zu rücken. In seinem unabhängig selbst produzierten Film „Die tscherkessische Frau“ hat er im Jahr 2015 einige der bekanntesten Tscherkessinnen der letzten Jahrhunderte in einem einstündigen Dokumentarfilm versammelt, zeigt die traditionellen Gewänder der Frauen und zitiert aus den Lobeshymnen weltbekannter Dichter, Ethnologen und Reisender, die mit Tscherkessinnen in Kontakt kamen. Seinen Film stellte Nagaplev nun an einem vom Tscherkessischen Kulturverein Köln e.V. organisierten Abend im Filmforum dem interessierten Publikum vor.
Zunächst aber gaben der Vorsitzende des Vereins, Aykut Sahin, am Akkordeon, und seine beiden Töchtern Adiyef (Gesang) und Janet (Klavier), zwei traditionelle tscherkessische Lieder zum Besten, die von zwei wichtigen Frauenfiguren aus der tscherkessischen Geschichte erzählten. Dann wurde Askarbiy Nagaplevs Dokumentation projiziert, die von einer Übersetzerin im Off mit deutschem Text versehen wurde. Das erwies sich nicht nur für die anwesenden deutschen Zuschauer als hilfreich, auch einige der tscherkessischen Exilanten sprechen mittlerweile eher Türkisch oder Arabisch und sind des Adygeischen oder Kabardinischen nicht mächtig. Nagaplev unterstrich in „Die tscherkessische Frau“ immer wieder die Schönheit und den Scharfsinn, aber auch den Kampfgeist der Frauen seines Volkes. Eigenschaften, die ihnen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von verschiedenen Seiten zugeschrieben wurden. Aber er bebilderte auch ihre weitreichenden Handarbeitsfähigkeiten, vor allem ihre Talente beim Flechten oder Goldsticken, mit denen die Frauen die Ornamente ihrer traditionellen Kleidungen verzieren, die dann als Mitgift in die Ehe gegeben werden. Unter den zahlreichen prominenten Interviewpartnern in Nagaplevs Film befand sich beispielsweise auch der russische Regisseur Alexander Sokurov („Russian Ark“).
Für das an die Projektion anschließende Gespräch mit Askarbiy Nagaplev konnte als Übersetzerin vor Ort Oksana Tubaeva gewonnen werden, die die auf Türkisch oder Deutsch gestellten Fragen an den Filmemacher ins Adygeische übersetzte. Der Regisseur bedankte sich bei der Schirmherrin der Veranstaltung, der regierenden Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, Henriette Reker, und erläuterte: „Ich habe diesen Film gemacht, damit die Menschen von unserer Heimat, unserer Kultur und unseren Traditionen erfahren. Viele wissen überhaupt nicht, dass wir überhaupt da sind.“ Nagaplev wurde nicht müde zu betonen, wie schön seine Heimat sei und dass die Türen immer offen stünden, für all diejenigen, die zurückkehren wollten. „Genau wie bei anderen Staaten wie Großbritannien oder Deutschland funktioniert ein Staat der Tscherkessen nur dann, wenn wir an einem Ort zusammenleben und die Welt von uns erfährt“, ergänzte der Filmemacher. Dass er nicht noch andere berühmte Frauen in seinem Film vorgestellt habe, die dem einen oder anderen Zuschauer gefehlt hatten, habe am Zeitfaktor gelegen, der Nagaplev zu Kürzungen und Weglassungen gezwungen habe. Auf die Frage aus dem Publikum, wie es denn um die Verdienste der tscherkessischen Männer bestimmt sei, antwortete der Regisseur: „Auch unsere Männer leisten sehr viel, vielleicht werde ich irgendwann auch einmal einen Film über sie und ihre Geschichte drehen.“
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