Es war schon ein Schock für die Fangemeinde als im Herbst 2016 in keiner deutschsprachigen Buchhandlung mehr ein Roman von Georges Simenon aufzutreiben war. Im Netz kletterten die Preise für einzelne Exemplare auf ein Vielfaches des Ladenpreises. Wie konnte das geschehen, hatte der Diogenes Verlag doch wenige Jahre zuvor zwei geschmackvoll gestaltete Editionen mit 75 Romanen um den legendären Kommissar Maigret und eine ausgesuchte Serie von 50 Romanen der sogenannten Non-Maigrets – die nichts mit Kriminalliteratur zu tun haben – vorgelegt. Daniel Kampa, einer der leitenden Angestellten des Verlags, hatte von Simenons Familie die Rechte erworben und plante eine Neuedition ebenfalls in Zürich, aber im eigenen Hause.
Die Geschichte mutete zunächst wie eine der bittereren Wahrheiten des Verlagsgeschäfts an. Hatte Daniel Keel, der Gründer des Diogenes-Verlags in den späten siebziger Jahren Simenons Werk doch erst hoffähig gemacht. Mehr als billige Ware für Bahnhofskioske waren Simenons Romane seinen deutschen Verlegern nicht wert. Keel präsentierte die Romane hingegen in guten Übersetzungen und setzte gleich ein Zeichen, indem er auf die Cover Zeichnungen von Pablo Picasso drucken ließ. Simenon wurde zum Lesestoff für Intellektuelle, was er in Frankreich und Großbritannien schon längst war, angesichts seines brillanten Realismus, seiner sinnlichen Bildsprache und unübertroffener Menschenkenntnis. Nicht nur die Nobelpreiskandidaten Jean-Paul Sartre und Albert Camus hätten sich glücklich geschätzt, seine Talente zu besitzen. Camus gab das sogar zu.
In diesem Herbst legt der neu gegründete Kampa Verlag nun ein überaus ehrgeiziges Programm vor. Hier deutet sich eine Präsenz in Zürich und Berlin an, die in den nächsten Jahren einen Platz in der ersten Reihe der Belletristik-Verlage einnehmen wird. Kampa präsentiert Autoren wie Astrid Rosenfeld, Kathleen Collins oder William Boys. Eine eigene Reihe mit Essays und theoretischen Schriften trägt Namen von Susan Sonntag, Georges Steiner, Joan Didion und Claude Lévi-Strauss bis David Bowie.
Außerdem erscheinen nun Simenons Maigret Romane in kurzer Folge. Die ersten liegen gebunden in exquisiter Gestaltung vor. Zum Teil mit den gleichen fotografischen Motiven von Robert Doieneau oder Henri Cartier-Bresson, die schon der Diogenes Verlag verwendete. Ist nicht fantasievoll, trifft aber den Nerv der Texte. Hier wird nicht auf die billige Tour mit einem legendären Autor abkassiert, sondern man kniet sich von Verlagsseite entschlossen in das Werk des großen Belgiers hinein. Die alten Übersetzungen wurden durchgesehen oder neu übersetzt, wie etwa „Der Schnee war schmutzig“, einer der radikalsten Romane Simenons, der eine bittere Liebesgeschichte aus den Tagen der deutschen Besetzung erzählt. Mit der Übertragung von Kristian Wachinger wird der Roman an unsere Gegenwart herangeholt, indem seine Sprache jene realistische Schärfe zurückerhält, die Simenon implizierte. Ein Meisterwerk, das nun wieder zugänglich ist.
Vom Diogenes-Verlag wäre wohl nach abschließenden Taschenbucheditionen nicht mehr viel Engagement in Sachen Simenon zu erwarten gewesen. Das Werk war abgefrühstückt, nachdem man es heldenhaft über Jahrzehnte präsent gehalten hatte. Jetzt dürfen sich die Fans auf 117 Romane freuen. Ein unglaubliches Projekt, für das der Verlag einen langen Atem und die Zuversicht braucht, dass die Menschen wieder in ein Simenonfieber verfallen, zumal es sich nun nicht mehr um Taschenbücher handelt, sondern gebundene Exemplare zum Preis von 22 Euro auf dem Ladentisch liegen. Sie sind es wert, das beschwören auch prominente Autoren wie Daniel Kehlmann, Paul Theroux oder John Banville in ihren Nachworten. Wird man einmal infiziert – und das kann man nur jedem Leser wünschen – dann kommt man von ihnen nicht mehr los.
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