choices: Herr Burmeister, wie hilft die Digitalisierung der Stadt der Zukunft?
Klaus Burmeister: Ich weiß nicht, ob die Digitalisierung der Stadt hilft. Denn die Probleme der Stadt sind in erster Linie keine technologischen. Die Stadt hatte immer die gleichen Probleme, jetzt wie vor über hundert Jahren. Um die Mobilität in einer wachsenden Stadt zu erledigen, haben wir vor 150 Jahren in Berlin beispielsweise einen S-Bahn-Ring geschaffen – auch dieses Problem haben wir weiterhin massiv, genauso wie etwa das der Wohnungsnot. Auf der anderen Seite brauchen wir natürlich immer Lösungen auf Höhe der Zeit. Und, wenn man solche Lösungen hat, die durch Digitalisierung unterstützt werden, dann kann das sicherlich nicht schaden.
„Es müssen zuerst andere Probleme bewältigt werden“
Da geht es auch um technische Systeme, die den Alltag erleichtern sollen …
Ich glaube nicht, dass die Digitalisierung dazu einen Beitrag leistet. Sondern wir haben es mit einer Entwicklung zu tun, diesehr stark gekoppelt ist an Organisationshandeln, eine große Bürokratie und an verkrustete Systeme. Dafür gibt es keine einfachen technischen Lösungen. Aktuell bin ich über das Projekt der Kleinstadtakademie des Bundes involviert. In der Stadt Mölln in Schleswig-Holstein wurde eine Digitalisierungswoche veranstaltet, um über neue Möglichkeiten der Arbeit und der Verwaltungsvereinfachung zu informieren. Der Bürgermeister würde es gerne tun, nur fehlt es an Fachpersonal. Der demographische Wandel schlägt in der Stadt durch. Im Grunde hilft da eine digitale Lösung nicht, sondern es müssen zuerst massive Probleme anderer Natur bewältigt werden: Knappe Ressourcen, fehlende Fachkräfte und -kompetenz, auch vor dem Hintergrund der Kooperation mit angrenzenden Gemeinden. Hinzu kommt, dass die Kommune den größten Teil ihres Etats in den Neubau und Umbau von Schulen investieren muss.Wenn eine Verwaltungsvereinfachung gleichermaßen über Digitalisierung angestrebt wird, hätte ich nichts dagegen. Doch auch dafür braucht es eine kontinuierliche Bürgerbeteiligung, für die auch Fachkompetenz nötig ist – entlang der ganzen Kette.Digitalisierung ist eine Möglichkeit von vielen. Aber wir müssen auch den Blick dafür schärfen, dass Städte vielfältige Probleme haben: das Thema Innenstadt, das der Migration, des Wohnraums und das des Verkehrs. Gigantische Probleme, wenn Sie mich fragen.
„Eine andere Form der Vernetzung“
Könnten Bewohner:innen sich über das Digitale verstärkt in die Anonymität der Großstadt zurückziehen?
Das kann ich so nicht bestätigen. Ich schaue auch ein bisschen breiter darauf: Es verändern sich natürlich Kommunikationsprozesse mit der Digitalisierung – das weiß jeder: Wer schreibt heute noch Postkarten aus dem Urlaub? Wer stimmt sich nicht über Messenger-Apps ab? Wer orientiert sich nicht über Google-Maps? Dadurch verändern sich Kommunikationsprozesse. Ein Stück weit wird das auch anonymer. Auf der anderen Seite findet aber eine andere Form der Vernetzung statt. Ich erlebe das in meinem kleinen Kiez. In meinem Neubaublock gibt es eine ganz quirlige Whatsapp-Gruppe, die im Grunde genommen schon Selbstorganisation betreibt: Vom Müllproblem bis zum Verkauf von Dingen, die man nicht mehr braucht. Das sind durchaus Ansätze, die man nutzen kann. Auch eine gute, sinnvolle Anwendung im Großraum Berlin ist eine App zum Thema Bäume. Darin kann man schauen, ob sie gegossen wurden oder nicht. Im Sommer kann man Patenschaften für einen Baum übernehmen.Ich sehe die Möglichkeiten, doch sie müssen aktiv genutzt werden. Und es bedarf immer einer zivilgesellschaftlichen Organisation, also von Menschen, die das Vorhaben auch ernst nehmen. Ich würde mir wünschen, dass die öffentliche Verwaltung solche Initiativen aktiver gutheißt und solche Prozesse der stärkeren Beteiligung von Bürger:innen in ganz unterschiedlichen Verfahren noch weiter öffnet. Um damit Bürger:innen noch stärker einzuladen, sich an diesen vielfältigen Problemen von Verkehr über Wohnen, vom Umfeld bis zur kulturellen Attraktivisierung aktiv zu beteiligen.
„Innovative Menschen ziehen andere mit“
Wären dann eher zurückhaltende Menschen eher in der Lage, gehört zu werden?
Natürlich hat es einen gewissen Charme, ohne großen Aufwand etwas kundtun zu können. Aber wenn man es sich genauer anguckt – auch die Kommunikationsstrukturen und Inhalte – ist die dominante Kommunikation doch eher ein Smiley oder zwei, drei Worte. Die Menschen, die sich auch inhaltlich in unserer Gruppe beteiligen, sind wenige. Das ist gar keine Kritik, sondern wir müssen einfach sehen, dass es in gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen geschichtlich genauso war. Dass der Anteil von Menschen, die innovativ waren, ca. ein Prozent der Bevölkerung ausmacht. Diese Menschen ziehen andere mit, aktivieren sie und fungieren als Ideengeber. Insofern ist die Technik nicht als Einladung für eine große Beteiligung zu verstehen, sondern als eine Möglichkeit. Es bedarf soziokultureller Rahmenbedingungen – das muss man als Einheit betrachten. Es gibt leider nicht das Patentrezept„man nehme das und es passiert jenes“, sondern es ist etwas komplizierter.Bezogen auf unsere aktuelle Situation: Die Demokratie hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten – insbesondere zur Beteiligung. Leider ist das ein bisschen vergessen worden. Wir sind aktuell in einer Phase, in der der Bürger, die Bürgerin wieder stärker gefordert ist, sich einzubringen.
„Das kann nur in Abstimmung mit den Bürger:innen passieren“
Wo gelangt das Konzept der Smart City an seine Grenzen?
Das Konzept Smart City hat mehrfache Grenzen. Zum Einen: Eine Stadt verfügt nicht über die Kompetenz aller Lösungen, die im Bereich der Digitalisierung möglich sind. Städte sind dadurch gezwungen, mit Dienstleistern, großen Plattformen und Unternehmen zu konkurrieren. Welche Möglichkeiten hat eine Stadt – eine Kleinstadt, eine Mittelstadt oder auch eine Großstadt – mit SAP, Microsoft oder Google zu verhandeln? Ein weiteres Dilemma ist, dass die Verwaltungen noch gar nicht darauf eingestellt sind. Ihnen fehlt es an Fachpersonal, das sie auch kaum anwerben können, da sie damit in Konkurrenz zu vielen anderen Unternehmen stehen.Viele dieser sinnvollen Smart City-Konzepte sind Querschnittskonzepte, die nicht nur Digitalisierungsabteilungen betreffen. Dabei geht es auch um Bereiche wie Grundbücher oder soziale Dienstleistungen, Wohngeld, Kfz-Zulassung oder Kataster. Die Problematik kommt damit in allen Bereichen gleichzeitig an. Darauf mit der Smart City Strategie zu reagieren, wäre zu einfach.Was wesentlich ist: Eine Stadt muss eine Idee haben. Wie soll diese zukunftsfähige, lebenswerte, nachhaltige, resiliente Stadt aussehen? Dieser Prozess kann nur in Abstimmung mit den Bürger:innen passieren und hier fehlt leider kontinuierlicher Dialog. Damit nicht die Digitalisierung im Zentrum aller Bemühungen steht, sondern die Frage: Wie wollen wir in einer attraktiven Stadt leben? Wenn daraus dann Projekte entstehen; gerne mit Unternehmen, gerne mit Einbezug von Händlern vor Ort, dann wird ein sinnvoller Schuh draus. Es gibt mit Sicherheit auch gute Umsetzungsbeispiele, aber insgesamt ist die Situation, bezogen auf diese ganzen Smart City Ansätze, relativ bescheiden.
„Wir brauchen ein aktives Miteinander der Stadtgesellschaft“
Bewohner:innen müssen einen klaren Nutzen von den Veränderungen haben?
Es muss Teilhabe ermöglichen. Ich muss als Bürger:in spüren, dass da im positiven Sinne etwas verändert worden ist.Das wäre das wünschenswerte Idealbild.Sonst geraten wir in eine Situation, in der Bürger:innen immer mehr zu Konsument:innen werden, die von einer überforderten Stadt Dienstleistungen erwarten. Nur, dass die dazu gar nicht in der Lage ist. Wir brauchen ein aktives Miteinander der Stadtgesellschaft, also der Menschen, die in einer Stadt wohnen, arbeiten, wirtschaften und sich austauschen. Nach wie vor ist das unerlässlich, gerade für gute Strategien für lebenswerte Städte. Darin spielt Technik, auch gerne smarte Technik, mit Sicherheit eine entscheidende Rolle.
„Bürger:innen wird bewusst, dass sie etwas anzubieten haben“
Viele Konzerne sind in diesen Veränderungen maßgebend. Wer stellt dann beispielsweise Datenschutz sicher?
Ab den 1990er Jahren haben sich Portale entwickelt. Dabei ist auch die erste digitale Stadt Amsterdam entstanden – kommend aus einer sozialen Bewegung. Sie versuchten, bereits 1994 Bürger:innen einzubeziehen. Das Internet hat sich weiterentwickelt und inzwischen sind große Unternehmen – wir kennen sie alle, Amazon und Google – entstanden. Sie verwalten inzwischen eine Masse an Daten, die ihnen freiwillig von Bürger:innen überlassen werden. Der Staat hat es bisher versäumt oder ist kaum noch in der Lage, und zwar international, diesen großen Konzernen Datenschutzregelungen zu oktroyieren. Eine Entwicklung hat ihren Lauf genommen, die kaum noch beeinflussbar ist, auch wenn in Europa gerade versucht wird, etwas dagegen zu unternehmen.Auf der anderen Seite hat sich der Begriff Daten und auch deren Nutzung ein bisschen verändert. Man könnte heute auch eine Strategie in Deutschland anwenden, die in Richtung Open Data-Portale geht. Nach dem Motto: Wenn Daten vorhanden sind, dann könnt ihr Unternehmen sie gerne nutzen, aber wenn, dann gegen ein gewisses Entgelt oder entsprechende Nutzungsvorteile – ob das im Verkehr ist oder im Bereich Stadtentwicklung oder -planung. Hier scheint sich eine Diskussion zu entwickeln, in der die Bürger:innen bewusster darin werden, dass sie etwas anzubieten haben. Das kann auch eine positive Option sein, diese Daten auch für öffentliche Belange einzusetzen, beispielsweise für neue attraktive Formen einer bürgernahen Verwaltung oder im Gesundheitsbereich. Oder für Beteiligung, also von der Pflege des Baums um die Ecke bis zur Frage, ob wir nicht noch mehr Arztpraxen brauchen oder endlich einmal eine Lösung für den überbordenden Verkehr. Ich hoffe immer noch darauf, dass es einen Wettbewerb gäbe um gute Lösungen, den wir als Teil einer frischen dynamischen Auseinandersetzung über Stadtprobleme in der Community nutzen. Und, dass es Menschen und zivilgesellschaftliche Initiativen gibt, die das weiterhin aufgreifen.
MUNDWERK - Aktiv im Thema
dako-ev.de | Der in Köln ansässige Verein Deutsch-Afrikanische Kooperation setzt sich ein für „Integration und Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund mit und ohne Behinderung, unabhängig von Alter, Nationalität, Religion und Geschlecht“.
korientation.de | Der 2008 gegründete Verein korientation – Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven klärt über antiasiatischen Rassismus und das „(post)migrantische“ Leben in Deutschland auf.
bv-nemo.de | Im Bundesverband Netzwerke von Migrant*innenorganisationen e.V. setzen sich über 750 Vereine für eine diskriminierungskritische Gesellschaft ein.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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