Freitagabend ging die erste Ausgabe des Film Festival Cologne mit der feierlichen Vergabe der International Film Awards NRW im Gürzenich zu Ende. Zuvor gaben die Preisträger Einblicke in ihre Arbeitsweise. So stand am Vormittag ein Werkstattgespräch mit dem Preisträger des Phoenix Film Award für den besten Dokumentarfilm auf dem Programm: Pieter-Jan De Pue hatte einiges über die abenteuerliche Entstehung seines Debütfilms „The Land of the Enlightened“ zu erzählen. Als Fotograf für NGOs ging er in das seit Jahrzehnten umkämpfte Afghanistan. Die Entstehung des Films war dann ein „organischer Prozess“, so De Pue, der acht Jahre dauern sollte. So hatte der Regisseur im Laufe der Vorbereitung von einer Legende gehört, die er in seinen Film über Kinder in Afghanistan als Rahmenhandlung einbaute: Danach habe Gott, als er die Welt verteilte, die Afghanen vergessen. Als ihm das auffiel, war kein Land mehr übrig außer ein besonders schönes Stückchen Erde, das er als seinen eigenen Garten verwenden wollte. Als er die Trauer der Afghanen sah, konnte er nicht anders als ihnen seinen Garten zu überlassen. Das brachte ihnen Neid ein und führte in den kommenden Jahrhunderten dazu, dass immer wieder andere Völker über Afghanistan herfielen – bis heute. De Pue porträtiert in seinem Film Kindernomaden, die Karawanen überfallen, in Mienen arbeiten und Waffen oder Edelsteine schmuggeln. Letztendlich zeigt der Film, wie die Kinder auf ihre Art versuchen, den Krieg im eigenen Land zu überleben.
Einer seiner Protagonisten ist der Anführer einer kleinen Bande in den Bergen, die in 4000 Metern Höhe lebt. Das bedeutete Drehen in Extremsituationen. Einerseits wegen den geografischen und klimatischen Bedingungen in den Bergen, bei Schnee und Kälte, weit weg von der Zivilisation. „Das war teilweise geplant und organisiert wie eine Expedition mit Verpflegung für Monate“. Andererseits wurde die Arbeit kompliziert durch die Zusammenarbeit mit den dortigen Menschen. „Für mich ist Afghanistan wie ein anderer Planet“, erzählt De Pue. „Die Art der Kommunikation unterscheidet sich völlig von unserer. Wenn man an einem Tag eine Verabredung getroffen hat, heißt das nicht, dass sie am folgenden Tag noch gilt.“ Außerdem mussten für den Film etliche bürokratische Hürden überwunden werden. „Man muss dort viel mit den Leuten sprechen, lange zusammen sitzen und Tee trinken. Das macht die Planung schwierig“, so De Pue. Es hatte zur Folge, dass der erste Anlauf mit viel Geldverlust und kaputtem Equipment scheiterte. De Pue fing daraufhin an, Afghanen als Assistenten anzulernen, um so schließlich in 18 Montan ca. 80 Prozent des Films zu drehen. Der Dreh mit den Einheimischen war auch deshalb schwierig, weil sie bei gespielten Szenen oder Reenactments vor der Kamera oft dachten, das Gespielte sei Realität. Vor zwei Wochen ist Pieter-Jan De Pue nach Afghanistan zurückgekehrt, um den Protagonisten den Film vorzuführen – in den Bergen, mitten in der Wildnis. Damit ist das Projekt nach acht Jahren abgeschlossen. Der Moderator fragt zum Abschluss noch, ob diese surreale, allegorische Geschichte voller schmerzvoller Schönheit überhaupt eine Dokumentation sein. De Pue: „Ich wollte keinen der typischen Filme über das schwierige Leben dort machen.“ Der Junge erzähle ja zugleich von seinem Traum über die Zukunft Afghanistans nach dem Abzug der Amerikaner. Der Film sei vielleicht ein Hybrid – „aber das zu entscheiden überlasse ich dem Publikum.“
Christopher Doyle, der auf dem Film Festival Cologne seinen neuen Film „Hong Kong Trilogy“ vorgestellt hatte, erhielt am Abend den The Hollywood Reporter Award. Doyle zeigte sich gleich bei der Begrüßung als außerordentliches Showtalent, der die Zuschauer in rot-weißer Köln-Pudelmütze begrüßte, nachdem er als Kameramann vorgestellt wurde, der mit seiner Arbeit das Kino nachhaltig verändert habe. Als visueller Gestalter tritt er der Haltung entgegen, nach der das Kino eine Erweiterung des Theaters sei. Doyle sieht Kino vielmehr verwandt zur Malerei, und sich selber als Verbindung zwischen dem Publikum und den Menschen, die so viel von sich preisgeben – die Regisseure, die Schauspieler...
Christopher Doyle ist Anfang der 90er Jahre mit seinen einzigartigen Bildkompositionen für die Filme von Wong Kar-wei aufgefallen, später auch durch die Zusammenarbeit mit Gus van Sandt, Jim Jarmusch u.a., darunter auch immer kleine, experimentelle Produktionen. Zuletzt drehte er für die Kölner Produktionsfirma Rapid Eye Movies auf Low-Budget Ebene. Im Werkstattgespräch zeigte er sich als Freigeist und vehementer Verfechter des Regelbruchs. Drehbücher müsse man kennen, aber nur, um nicht an ihnen zu kleben. Wenn man kein Geld habe, solle man eben mit dem Handy drehen. Und vor allem solle man sich stets trauen, Fehler zu begehen, frei nach Leonard Cohens Song „Anthem“, den Doyle zitiert: „Forget your perfect offering / There is a crack in everything / That's how the light gets in“.
Aus dem Publikum kam die Frage, wie er seine Projekte auswähle. Doyle erklärte, dass eine Zusammenarbeit von Vielem abhinge: Von dem Geld, der Location, der Drehzeit. Aber das Wichtigste für ihn sei, mit Menschen zu arbeiten, die ihm etwas bedeuten. Das sei dann zwar anstrengend, „denn der Film ist 24 Stunden, also auch im Traum, bei dir. Aber darum geht es im Filmprozess: Um diese Entschlossenheit und Energie, die zu dem Wunder führen, das man mit allen Beteiligten teilt.“ Am Ende des Gesprächs fragt ein junger Filmemacher nach ein paar Tipps. Christopher Doyle schleudert ihm euphorisch entgegen: „Just do it! If I can do it, you can do it too!“
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