Mittwoch, 31. Januar: Auf den ersten Blick mag es ungewöhnlich anmuten, dass die in Hessen angesiedelte Dokumentation „Einzeltäter Teil 3: Hanau“ in der NRW-Sektion des Dokumentarfilmfestivals „Stranger Than Fiction“ aufgeführt wird. Aber bei seiner Einführung zum Film erläuterte Dirk Steinkühler, einer der Organisatoren des Festivals, das in diesem Jahr bereits zum 26. Mal stattfindet, warum dies so ist: „Die Produktionsfirma des Films, Corso Film, hat ihren Sitz in Köln. Und auf diese Weise wollen wir zeigen, wie vielfältig die NRW-Verflechtungen bei in- und ausländischen Produktionen sind, gerade auch im Dokumentarfilmbereich und im Vergleich mit anderen deutschen Bundesländern.“ Wie man am kompletten Titel bereits erkennen kann, ist dieser Film der Abschluss einer Trilogie, die zum Themenkomplex Terroranschläge durch rassistische rechte Extremisten entstanden ist. Regie führte jeweils der 1985 in Frankfurt am Main geborene Julian Vogel, der zur Vorstellung des Films in Köln leider nicht persönlich anwesend sein konnte. Er ließ sich vertreten durch den Produktionsleiter und Mit-Produzenten des Films, Ümit Uludağ. Dieser war bisher in der Stuttgarter Dependance der Kölner Corso Film tätig und stellte dort den Kontakt zu Julian Vogel her, der als Abschlussfilm für sein Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg einen Film über den rechtsextremistischen Terroranschlag im Jahr 2016 in München realisieren wollte. Wie sich allerdings schon recht schnell herausstellte, ließ sich ein solches Projekt nicht so einfach finanzieren.
Schwierige Entstehungsgeschichte
Im Filmgespräch nach der Projektion von „Einzeltäter Teil 3: Hanau“ im Filmhaus gab Ümit Uludağ Einblicke in die schwierige Entstehungsgeschichte des Gesamt-Projektes. In München taten sich die Behörden zunächst schwer, den Terroranschlag am Olympia-Einkaufszentrum als rechte Gewalttat einzustufen. Das änderte sich erst, als am 9. Oktober 2019 in Halle ein antisemitischer Einzeltäter in einer Synagoge einen Massenmord plante, und schließlich zwei Menschen auf offener Straße erschoss. Julian Vogel musste feststellen, dass ihn bei den Vorbereitungen zu seinem München-Film die Realität eingeholt hatte, denn noch während seiner Recherchephase ereigneten sich die Anschläge in Halle und Hanau. Er münzte sein Konzept um und plante nun, einen Film über alle drei Attentate zu realisieren. Doch nach der Verdichtung des an den drei Tatorten gedrehten Materials blieben noch jeweils rund anderthalb Stunden Material übrig. „Wir wussten nicht, wen wir der Schere opfern konnten, denn Julian Vogel hatte das Vertrauen sämtlicher Beteiligter gewonnen“, kommentierte Uludağ. Das sei schon deswegen gar nicht so einfach gewesen, weil Vogel als Filmemacher mit den restlichen Medien schnell in einen Pott geworfen worden sei. Da diese nicht immer sonderlich „nachhaltig“ arbeiteten, galt es hier zunächst große Hürden zu überwinden, so der Produzent weiter. Als Retter in der Not erwies sich die Sendereihe „ZDF – Das kleine Fernsehspiel“, dessen Redakteurin Lucia Haslauer das Konzept, aus dem Stoff drei eigenständige und unabhängig voneinander funktionierende Filme zu machen, mittrug. Alle drei Teile wurden auf verschiedenen Festivals auf der großen Leinwand gezeigt, sind aber auch schon in der ZDF-Mediathek abrufbar. Im linearen Fernsehen werden sie am jeweiligen Jahrestag des Anschlags ausgestrahlt, „Einzeltäter Teil 3: Hanau“ also demnächst am 19. Februar.
Die Sensibilität vergrößern
Den Machern war es wichtig, dass es zu allen drei Teilen eine „atmosphärische Abnahme“ gab, sprich Vorabscreenings mit den Betroffenen und Hinterbliebenen. Diese fielen durchweg positiv aus. Dennoch kam es bei der Präsentation von „Einzeltäter Teil 1: München“ während der Duisburger Filmwoche zu einer öffentlichen Diskussion, da eine der Beteiligten im fertigen Film nicht mehr vorkam, „obwohl sie gesehen und wahrgenommen werden wollte“, wie Uludağ nachvollziehbar darlegte. Dadurch verdeutlichte er den Balanceakt, den sich ein Regisseur bei einem derart komplexen Thema stellen muss. Ihn als Produzenten habe an dem Projekt gereizt, dass Julian Vogel die Fälle jeweils komplett nur aus der Sicht der Opfer und Angehörigen schildern wollte. Gerade die Floskel des „Nicht-Vergessens“ habe für Uludağ hier eine ganz neue Bedeutung erhalten. „Mein Bewusstsein und meine Sensibilität sind hierbei größer geworden“, so der Produzent in Köln. Im Nachhinein bedauere er nur, dass er sich als Produzent auf ein dermaßen geringes Budget eingelassen habe. Damit drei abendfüllende Filme zu realisieren, sei eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. „Das würde ich so nicht mehr machen. Aber heute bin ich sehr froh, dass wir es trotzdem durchgezogen haben“, sagte Ümit Uludağ. Das „Stranger Than Fiction“-Festival läuft noch bis zum Sonntag, 4. Februar, im Filmhaus Kino in Köln.
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