Sonntag, 13. Juli: Kurz bevor die meisten Kölner dem Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien beim Public Viewing entgegenfieberten, stellte die Wahl-Kölnerin Claudia Richarz ihren zusammen mit Ulrike Zimmermann realisierten Dokumentarfilm „Vulva 3.0“ im Rahmen der Kölner Kino Nächte im Odeon-Kino vor. Der auf der diesjährigen Berlinale uraufgeführte Film beschäftigt sich mit dem ansonsten medial und auch sozial stark verdrängten Thema des weiblichen Geschlechtsorgans. „Vulva 3.0“ war zuvor schon im Programm des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund/Köln gezeigt worden, und Mit-Organisatorin Sonja Hofmann erläuterte bei der Begrüßung, dass dies ihr Wunschfilm für die Kinonächte gewesen sei. Claudia Richarz, für ihre Fernsehreihe „Abnehmen in Essen“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, ist auch mitverantwortlich für eine DVD-Reihe über Sexualität und Körperbewusstsein.
Im an die Projektion von „Vulva 3.0“ anschließenden Publikumsgespräch erläuterte die Filmemacherin, dass der Ursprung des Films dennoch etwas komplizierter war. Ihre Ko-Regisseurin Ulrike Zimmermann hatte ursprünglich eine Dokumentation über den Irak geplant, für den sie sich die Unterstützung von Richarz erbat. Vor Ort stießen die beiden Frauen auf die Problematik der Genitalverstümmelung irakischer Frauen und waren von dem Thema dermaßen fasziniert, dass sie in dieser Richtung weiter zu recherchieren begannen. Das Mitleid mit den Verstümmelten, auch hinsichtlich ihrer nicht mehr oder nur eingeschränkt empfindbaren Orgasmen, führte die Regisseurinnen zu einer anderen Frage: „Was ist eigentlich mit unserer eigenen Sexualität los?“ Schnell wurde ihnen klar, dass auch in unserer Gesellschaft große Tabus bestehen, das weibliche Geschlechtsorgan kaum sichtbar gemacht und erst recht nicht darüber gesprochen wird. Vor diesem Hintergrund sei erklärbar, warum in den letzten fünf bis zehn Jahren bei Genital-Schönheitsoperationen ein Anstieg von rund 400% zu verzeichnen sei. Wenn junge Mädchen überhaupt etwas über die Vagina zu sehen bekommen, entspricht dies dem normierten und idealisierten Blick, den Hochglanzmagazine und Pornos transportieren. In „Vulva 3.0“ gehört auch Ulrich Grolla zu den Interviewpartnern, der als Fotodesigner allzu stark hervortretende Schamlippen digital retuschiert. Richarz merkte dazu an: „Das wird bei Playboy, Penthouse etc. auch so gemacht. Es ist aber ein Gerücht, dass es gesetzlich verboten wäre, weibliche Schamlippen auf Fotos zu zeigen.“
Der Film thematisiert aber auch den chirurgischen Eingriff in das Aussehen der Vulva, u.a. mit Szenen aus einem Seminar für Schönheitschirurgen, die mittels einer Liveübertragung die Operation einer 24-jährigen Frau exemplarisch mitverfolgen können. Im Film sind die Details davon unkenntlich gemacht, was allerdings nicht den Intentionen der Regisseurinnen entspricht. „Es wäre schon besser, wenn man das sehen könnte, obwohl allein schon der gesprochene Kommentar dazu sehr detailliert ist“, erläuterte Claudia Richarz. Die Retuschierungen waren allerdings notwendig geworden, weil die Bildrechte der in diesem Film zu sehenden Patientin vor der Uraufführung auf der Berlinale nicht eindeutig geklärt werden konnten. Das schwierige Verhältnis von Frauen zu ihrem eigenen Körper resultiere auch daraus, dass es beispielsweise in Schulbüchern kaum Abbildungen und genauere Erklärungen zum weiblichen Sexualorgan gäbe, so Moderatorin Sonja Hofmann. Claudia Richarz will nun versuchen, „Vulva 3.0“ an die Landesfilmstellen zu verkaufen, damit er im Unterricht eingesetzt werden und dort als Anschauungshilfe dienen kann.
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